ARNO SCHMIDT
MENSCH GÜNTER

Vor zehn Jahren war ich der junge Engels
Der junge Marx, der saß neben mir
Es war damals an der Uni
KuWi- Studenten waren wir
Und der uns so nannte, das war Günter
Günter, unser Philo Dozent
Bei dem saßen wir mit roten Ohren
Bei dem hat keiner gepennt

Günter war nur knapp einssechzig
Kein Riese, der da vor uns stand
Kant und Lenin waren auch nicht größer
Und haben die Welt erkannt
Wir brauchten erstmal paar Wochen
Um zu merken, was der von uns will
Wir sollten aufhörn zu schweigen
Und das war unheimlich viel

Mensch Günter, deine Schule war viel wert
Mensch Günter, du hast uns Denken gelehrt
Mensch Günter, woher nahmst du die Kraft bloß
Mensch Günter, son kleiner Mann und so groß

Und all unsre festen Begriffe
Hat er erstmal in Frage gestellt
Es blieb ihm auch gar nichts andres übrig
Ein paar hat er damit verprellt
Die konntens einfach nicht begreifen
Die kamen nicht raus aus dem Trott
Was bisher immer Einsen gebracht hat
Das brachte nur beißenden Spott

Die herrlichen fertigen Sprüche
Auf einmal warn sie so leer
Freiheit ist Einsicht und sowas
Das zog auf einmal nicht mehr
Worauf man uns so mühsam dressiert hat
Unsre widerspruchslose Welt
Da hatte er ganz schön zu ackern
Hat sie vom Kopf auf die Füße gestellt

Mensch Günter...

Tja, Günter, und nun biste der Löffel
Das hast nun davon
Wie lange, haste gedacht, daß das gut geht?
Immer so gegen den Strom
Sag nicht, daß man dich nicht gewarnt hat
Wie oft sagten sie: laß das sein!
Kompromißlosigkeit macht einsam
Und Ehrlichkeit bringt nicht viel ein