ARNO SCHMIDT
DAS ALTE LIED

Da gibts eine Frau, ich glaub, Mitte zwanzig
Sehr schön, sehr blond, und das Blond sogar echt
Sie ist von dem Typ, den Männer begehren
Der Typ, den man aber nicht heiraten möcht
Auf der Straße kommt's vor, daß ein Mann sie anspricht
Man tut nichts dazu, doch man findet sie geil
Sie kennt all die Blicke, die Gesten, die Worte
Sie ist dran gewöhnt und denkt sich ihr Teil

Doch manchmal kam einer, der sagte es netter
Den nahm sie dann mit und hat ihm gern geglaubt
Der letzte, der ist nur drei Wochen geblieben
Der erste, der hat ihre Unschuld geraubt
Doch von beiden, von beiden hat sie was behalten
Das eine heißt Katrin, das andere Klaus
Und beide Mal sagte man ihr, laß es machen
Und beide Male trug sie es aus

Da gibt's einen Mann, er ist noch nicht Dreißig
Sieht gut aus und stark, und klug ist er auch
Er trinkt nicht, er raucht nicht und verplempert sein Geld nicht
Man höre und staune, er steht nie auf 'm Schlauch
Und doch ist einsam, er hat keine Freundin
Er fühlt sich nicht wohl in der Stadt, wo er lebt
Und oft starrt er stundenlang auf die Tapete
Die in seinem Zimmer die Wände beklebt

Da treffen sich zwei, und es sind unsre beiden
Da gibt's keinen Blitz, da macht es nicht Zoom
Sie können sich einfach von Anfang an leiden
Sie gehn miteinander nur anständig um
Und sie tun sich zusammen, aus der Sache wird Liebe
Verstehn sich verbal und verstehn sich im Bett
Und es scheint so, als sei'n sie füreinander geschaffen
Der Klaus und die Katrin, die finden ihn nett

Was ist das für eine banale Geschichte
Passiert überall jeden Tag außerdem
Was hier so verdächtig nach Happy End aussieht
Ist leider noch keins, es gibt'n Problem
Denn der seltsame Mann mit samtweicher Seele
Der ist Afrikaner, der hat schwarze Haut
Die treibt es mit Negern, so hört man es flüstern
Die einen noch leiser, die andern schon laut

Denn hier kennt jeder jeden, bald wissen es alle
Die Stadt ist so eng, die Stadt ist so klein
In der Kaufhalle spürt sie Mauer aus Blicken
Und jeder Blick wie geworf'ner Stein
Wie wird's denn sein mit so einem aus'm Urwald
Die wird schon wissen, warum sie das tut
Die sollen ja überall ganz rabenschwarz sein
Ein lüsterner Schauer geht mancher durch's Blut

Und die es nicht geschafft haben, bei ihr zu landen
Die reißen ihr Maul am weitesten auf
Die ist doch ein Flittchen, das wußte man immer
Und jetzt geht da wohl kein andrer mehr drauf

Aber noch haben beide genug aneinander
Noch prallt alles ab, noch stört sie es nicht
Aber es wär nicht die erste und einzige Liebe
Die an ihrer menschlichen Umwelt zerbricht