GERHARD GUNDERMANN
aus Interviews 1993
Ich bin der Meinung: Wenn ich ein richtig gutes Stück geschrieben habe, kann das eigentlich gar nicht von mir sein. Ich bin
vielleicht nur der Fernseher, der aufnimmt und weitergibt. Es ist quasi nur die Übersetzung von irgend etwas, das schon vor-
handen ist. Wenn ich mich vor eine Mikrowelle setze, sehe ich ja auch keinen Film. Ich bin also möglicherweise in der gesell-
schaftlichen Arbeitsteilung der Fernseher, und andere wieder sind Mikrowellen.
(ZITTY- Stadtmagazin, 1993)
Ich gehöre zu der Generation, die richtig Sozialismus machen wollte, aber nicht mehr dazu kam. Wir wurden und werden aus-
gelacht für unseren Idealismus. Doch genau der ist unser innerer Halt. Sonst wären wir unter den heutigen Bedingungen
längst zusammengeklappt. Die Parole lautet heute: Nimm, was du kriegen kannst. Der steht als Blödmann da, der meint:
Nimm nur das, was du brauchst. Aber in zehn Jahren werden die Zyniker begreifen, daß der, der nimmt, was er kriegt, dann
nicht mehr bekommt, was er braucht. Und sie werden neidisch auf uns sein.
(Sächsische Zeitung, 1993)
Wenn man satten Leuten sagt, wir müssen die Welt anders verteilen, werden die alle sagen, wozu, wir sind doch satt. Wenn
man das aber zu hungrigen Leuten sagt, dann sind diese schon daran interessiert. Also, nur wenn die Mehrheit in der Katas-
trophe sitzt, wird sich die Mehrheit auch zu einer vernünftigen Lösung finden. Nur die Existenzkrise verhilft ja zu neuen Er-
kenntnissen.
(Thüringer Allgemeine, 1993)
Jesus reizt mich schon. Oder besser gesagt: Gott. Weil ich denke, das ist der Versuch, einen Weltzusammenhang, den es
ohne Zweifel gibt, zu personifizieren. Und ich würde gerne einen Zipfel erhaschen von diesem Zusammenhang, der die Welt
noch in Gang hält, vielleicht eine ausgleichende Gerechtigkeit, ein Gleichgewicht schafft.
(Lausitzer Rundschau, 1993)
Ich selber habe schon eine Moral. Aber wenn ich versuche, die Welt zu erklären, dann geht das nicht über Moral. Man kann
nicht sagen: "Der ist böse" (...) Die Zivilisation ist eine sehr dünne Haut. Je technisierter sie ist, desto dünner ist diese Haut.
Ich glaube auch, Moral versucht, viel zuzudecken. Wir haben doch alle noch das Gehirn des Urmenschen, mit dem wir her-
umlaufen. Wenn einer in mein Haus kommt, auf meinen Acker, zu meiner Frau, dann muß ich den wegjagen..."
(Leipziger Volkszeitung, 1993)
Ich versuche so zu leben, daß ich viel Freiheit habe und dabei anderen möglichst wenig Freiheit nehme. Denn normalerweise
schränken Leute mit großer Freiheit die Freiheit anderer Leute ein. Ich versuche, mich klein zu machen, durchs Leben kom-
men und dabei wenig Schaden anzurichten. Sozusagen von den Geschenken zu leben und nicht von dem, was ich anderen
wegnehmen muß.
(Ostthüringer Zeitung, 1993)
Die Leute, die in unsere Konzerte kommen, sind eine Randgruppe: die Minderheit, die an morgen denkt. Die gucken sich
dann um, zählen durch und finden: Wir sind eigentlich eine ganze Menge. Das ist doch ein produktiver Effekt. In meinen An-
sichten bin ich schon radikaler geworden. Aber ich überlasse es den Leuten, ob sie sich meiner Vorschläge bedienen oder
nicht. Ich will niemanden agitieren. Wenn du brüllst, halten sich die Leute die Ohren zu. flüsterst du, kommen sie heran und
wollen hören, was du zu erzählen hast.
(Berliner Zeitung, 1993)
In der Frühschicht fahre ich nach der Arbeit los zum Konzert und danach wieder hin. In der Spät- und Nachtschicht habe ich
dann unbezahlt frei.
(Nordkurier, 1993)
Ich wäre glücklich, wenn meine Lieder für manchen einfach ein Stück seines Lebens sind. Ob er da nun geheult hat bei der
Platte oder gelacht, ob er Kraft gefunden oder welche gelassen hat, ist mir egal. Wenn sie nur dazu gehören, zu irgendeinem
Leben.
(Freies Wort, 1993)
Aber wesentlicher als Dylan sind für mich seine Songs. Songs sind wie Kinder, die man in die Welt setzt und die sich dann
allein bewegen. Man sollte die Kinder nicht in den Eltern suchen, sondern als Kinder behandeln.
(Junge Welt, 1993)
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