GERHARD GUNDERMANN
Buch GERHARD GUNDERMANN: ROCKPOET UND BAGGERFAHRER.
Gespräche mit Hans-Dieter Schütt 1996; VÖ:1999
AUSZÜGE

Ich habe nicht nur einen einzigen Traum, ich habe fünf Träume: Ich will ein Arbeiter sein, wie ich mir das vorstelle; ich will ein
Vater sein, wie ich noch lange keiner bin; ich will son'n Mann sein, ich will ein Sänger sein, und ich will so'n Ding sein
zwischen Clown, Schreiber und Regisseur.

Wenn du eine Sache mit einem etwas fremden Blick siehst oder sie zum Beispiel in einem Lied verarbeitest, dann schaffst
du dir eine Distanz dazu, du bist den Dingen nicht mehr ausgeliefert, du versuchst auf diese Weise ein Stück Freiheit; aus
tiefster Gefangenschaft im Alltäglichen versuchst du ein Stück Freiheit.

Ich wollte als Musiker nie großer Präsentator sein, sondern Gastgeber. Ich singe, also bin ich. Ich werde gehört, also bin ich
nicht allein. Das zweite ist das Wichtigere.

Sich mühelos erheben, sich aufschwingen können, schweben, fliegen: Nie erlebe ich dieses Verlangen, diesen Vorgang in
meinen Träumen und Sehnsüchten unter dem Aspekt des Entfliehens, des Abhauens irgendwohin. Im Gegenteil: Ich fliege
nicht FORT, fliegend bin ich besser und intensiver HIER.

Diejenigen, die sagen, ich sei ein Spinner, die haben recht.

Ich wollte mich in den Dienst einer kollektiven Kraft stellen, in den Dienst eines Wissens, das außerhalb meines Bewußt-
seins und meiner Kompetenz lag. Ich glaubte an die Klugheit und Weisheit, die an höhere Instanzen gebunden ist: Die Ge-
nossen werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Das hängt damit zusammen, daß ich mich noch nie als ein Mensch
des großen Überblicks verstand. Für das, was ich selber überblickte, trug ich gern die Verantwortung; aber ich meinte, es
gäbe eine Ebene, auf der mir nur das Dienen anstünde.

Zusammen mit den Leuten vom Jugendklubhaus haben wir den großen Saal renoviert. Bei vollem Betrieb. Also nach der
Spätschicht hin, noch'n Bier oder den Rest vom Film, als die Leute raus waren kurz nach Mitternacht, eine Wand Tapete
runter, Tapete ruff, aufgeräumt und ab nach Hause so etwa früh um dreie. Um zwölfe wieder hoch, auf Spätschicht, danach i
ns Jugendklubhaus, noch'n Bier oder den Rest vom Film (...) Bis es fertig war. Und wir auch. Aber wir fühlten uns gut. Sehr
gut sogar.

Die Kohle, die wir heute früh hier herausgeholt haben, war um achte schon in Schwarze Pumpe auf Bunker und um zehne
verheizt. Was könnte man tun, daß man sich an unsereins erinnern muß.

Ich weiß, daß die Braunkohlenförderung eine erd- und menschenschädigende Arbeit ist, zu Gunsten eines aktuellen mensch-
lichen Nutzens. Ich bin immer bei dieser Arbeit geblieben, weil ich dachte, diesen Prozeß durchziehen sollten solche Leute,
die um die schädigende Wirkung wissen, nicht aber solche, denen das scheißegal ist.

Wenn wir den Planeten zu sehr belasten, dann wird er uns wieder abschütteln, abschaffen. Es ist nicht entscheidend, ob
das Proletariat der Totengräber des Kapitalismus sein kann, aber der Kapitalismus wird der Totengräber der menschlichen
Zivilisation sein. Wenn die ihn machen läßt.

Hat man erst einmal einen Gedanken in Umlauf gebracht, kommt auch das Nach-Denken. Ich glaube, daß die Leute anzu-
stecken sind. Der Mensch mußt selbstbewußt wie ein Virus sein: Ich bin ganz klein, aber morgen ist eine ganze Stadt krank.
So was geht auch mit Ideen.