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LERNEN VON DEN ALTEN: DER MANN, DER WAS VON CHEMIE VERSTEHT
Herbert Grönemeyer ist einer der erfolgreichsten deutschen Popmusiker. Er verkaufte über elf Millionen Platten und spielte in
zahlreichen Filmen mit. Als vor zwei Jahren seine Frau Anna Henkel starb, zog sich Grönemeyer zunächst vollkommen aus
der Öffentlichkeit zurück. Derzeit arbeitet der 44-Jährige am Aufbau seines eigenen Labels "Grönland", auf dem er vorwie-
gend deutsche Bands veröffentlichen wird. Grönemeyer lebt mit seinen beiden Kindern in London.
Können Sie sich noch an Ihre erste Liebe erinnern?
Meine erste Liebe war ein Mädchen in Holland. Sie hieß Yvonne. Da war ich zehn Jahre alt, und sie war bildschön. Sie hatte
wunderschöne, lockige Haare. Ich spielte immer Gitarre, um ihr zu imponieren. Und sie hat mir, nachdem ich sie bedrängt
hatte, eine Locke geschenkt. Die habe ich mir dann ins Portemonnaie getan.
Haben Sie die noch?
Nein, die habe ich nicht mehr. Das war sozusagen meine erste Liebe. Meine erste Freundin war Französin und hieß Josette.
Das war in der Bretagne. Ich war 13, und sie war 16. Das war die erste Liebe, in der Körperlichkeit - in Form von Küssen -
eine Rolle spielte.
Was bleibt von der ersten richtigen Liebe?
Die Leichtigkeit - nicht Leichtfertigkeit. Es war so leichtfüßig und abenteuerlich. Ich kann das noch genau beschreiben, auch
das Gefühl - ein Gefühl von ungeheurem Glück. Sie war sehr schön anzufassen. Das bleibt und geht nie wieder weg. Das ist
auch wunderbar so.
Was ist Liebe eigentlich?
Liebe ist - glaube ich - ein chemischer Bestandteil, der immer wieder Glück erzeugen kann. Also, Liebe ist, wenn beide in
der gleichen Minute beim jeweils anderen so ein Glück hervorbringen. Und sicherlich gibt einem das Gefühl, daß man geliebt
wird oder jemanden liebt, immer wieder die Möglichkeit, dieses Glücksgefühl im eigenen Kopf herzustellen. Man kann das
dann immer wieder rausholen aus der Schublade, auch wenn man den anderen gerade nicht sieht. Ich glaube, Liebe ist die
optimalste Möglichkeit, Momente dieser Glücksexplosionen herzustellen.
Woran haben Sie erkannt, daß Sie geliebt werden?
Man hat das Gefühl, man wird untermauert, abgestützt von unten. "Halt" finde ich den falschen Begriff, weil das mit "Fest-
halten" zu tun hat. Das, was ich meine, ist mehr so etwas wie Unterbau. Wenn man geliebt wird, wird man von unten und
innen stabilisiert. Man bekommt Sicherheit.
Wie entsteht so etwas?
Das ist eine unbeschreibliche Chemie. Liebe ist so etwas wie ein Gas. Irgend etwas, das man gerne komprimieren, in eine
Flasche tun würde. Das geht aber leider nicht...
Liebe ist etwas Flüchtiges?
Ja. Liebe ist etwas, das man immer wieder herstellen, immer wieder erneuern muß. Oder worum man betet, daß es bei
einem selber auch immer wieder für den anderen entsteht. Daß man selber immer wieder in der Lage ist, dieses Gas für den
anderen herzustellen. Wo man aber auch gar nicht weiß, wie man das anrührt. Ob man den anderen anguckt oder Blumen
schickt oder Briefe schreibt. Ich glaube, alle diese Vorgänge sind immer wieder nur der Versuch, dieses Gas herzustellen.
Wie sahen Ihre Versuche aus?
Ich bin leider nicht so der verbale oder geschenkfähige Romantiker, sondern leider etwas spröder. Ich bin im Alltag eher ein
etwas verschlossener, kühlromantischer Mensch. In meinen Liedern schaffe ich, das dann zu verbalisieren. Durch die Musik
braue ich mir so eine Chemie zusammen.
Wenn Sie die Musik machen, stellen Sie dann dieses Liebesgas her, von dem Sie sprachen?
Das ist das große Glück, das ich in meiner Musik habe. In der Musik spüre ich, wenn ich sie schreibe, schon diese Emotio-
nalität. Ich spiele ein Lied dann immer wieder und mache dazu mehrere Texte, bis ein Text paßt. Nach einem Jahr oder zwei
merke ich dann erst selber, was da eigentlich alles drin steckt. Ich glaube, daß das Unterbewußtsein weiter vorausschaut
als der Kopf.
Nach dem Tod Ihrer Frau haben Sie einmal gesagt, daß Ihnen erst im Nachhinein klar geworden ist, was Sie in Ihren Texten
eigentlich geschrieben haben.
Das Lied "Die letzte Version vom Paradies" ist sicher ein erschreckendes Beispiel dafür: "Wir sind im Raum, der Leben
heißt, Zweiwegetraum, getrennt verreist, vergiß meinen Namen..." - da steckt soviel unterschwellige Endzeitstimmung drin.
Das habe ich, als ich das Lied geschrieben habe, gar nicht verstanden, nicht gesehen. Oder "Neue Welt": "Bin nur für dich
geblieben, für nichts und wieder dich. Hab sonst hier nichts zu verlieren". Diese Lieder bekommen für mich im Nachhinein
einen erschreckenden Inhalt.
Viele Ihrer Lieder sind direkt an Ihre Frau Anna gerichtet, auch jetzt nach ihrem Tod. Ist Liebe ewig?
Ich glaube, ja. Die Zuneigung zu einem Menschen kann dessen Tod überdauern. Auch bei meiner Frau ist das so. Das sind
Gefühle, die sind nach wie vor so übermächtig in mir, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, daß das jemals abbricht. Dieses
Gefühl nimmt nach wie vor alles ein.
Wie erkennt man die Liebe fürs Leben?
Die kann man nicht erkennen, das ist wie im Lotto. Ich war mit meiner Frau Anna zwanzig Jahre zusammen. Da gibt es si-
cherlich ein ganz unglaubliches Urvertrauen. Aber trotzdem muß man das auch da immer neu erwerben. Das ist ein unauf-
hörlicher Vorgang. Und wenn dann plötzlich der Partner fehlt... (Pause) Man vermißt ihn, man vermißt die Nähe, man vermißt
diese Mischung aus Gas, Geruch, Sprache, Lauten. Das ist so etwas ganz Komisches, wie so ein kleines Paradies, das
entsteht, wenn der andere da ist, wenn er etwas erzählt, wenn man ihn sieht. Es kommt oft gar nicht darauf an, was der
sagt, sondern darauf, daß man die Stimme hört, die Gestik sieht, wie er guckt, seine Aura. Wenn man davon abgekappt
wird, leidet man unter grausamen Entzugserscheinungen.
Lohnt es dann überhaupt, sich auf die Liebe einzulassen?
Das ist die zentrale Frage. Tut man besser daran, nicht zu lieben, dann hat man auch den Schmerz nicht? Aber das führt
früher oder später zu einer Austrocknung und zu nacktem Zynismus. Ich glaube einfach, diese Momente, in denen so etwas
entsteht, diese Glücksexplosionen, die braucht der Mensch, um zu existieren. Wenn er sich davon abschneidet, damit er
nicht leidet, schneidet er sich im Grunde genommen vom Leben überhaupt ab. Man bleibt jedenfalls lebendiger mit dem
Glück auf der einen Seite und dem Schmerz auf der anderen. Aber das ist eine ganz zentrale Frage - auch für mich -, wenn
das Glück mit dem Tod und dem Schmerz, mit so einem radikalen Abschied, verbunden ist, lohnt sich das? Aber ich glaube,
daß selbst in so einem Schmerz die Liebe übrigbleiben wird - irgendwann. Da kann ich jetzt nur theoretisch darüber reden,
aber ich hoffe das.
Kann die Musik den Tod besiegen?
Ja, wenn das nur ginge. Zumindest dem Schmerz gewisse Anteile rauben. Es ist der Versuch, mit der Musik dem Ganzen
etwas an Brutalität zu nehmen. Aber bei der Musik tue ich mich im Moment immer noch sehr schwer. Weil eben auch Anna
ein großer Anteil war, warum ich überhaupt Musik gemacht habe. Und einen neuen Ansatz zu finden zur Musik, das ist noch
sehr schwierig. Ich war früher mehr eins mit der Musik, wenn ich Konzerte gab. Jetzt beobachte ich mich zum Teil selber bei
meinen Konzerten. Das ist hoffentlich nur eine Durchgangsphase. Ich habe eigentlich zur Musik ein relativ unbefangenes, ur-
sprüngliches Verhältnis gehabt. Das hat sich ein bißchen verändert, weil eben auch diejenige, die die ganze Euphorie ausge-
löst hat, nicht mehr da ist.
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