HERBERT GRÖNEMEYER
Interview von STEFAN KRULLE (Wom, 21.08.2002)
HERBERT GRÖNEMEYER ÜBER VERLIERER IM AMT UND HEILSAMES LACHEN

Beschleicht Dich schon die Neugier auf Deine Chronisten, die jetzt wieder nach Grönemeyer-Intimitäten in Deinen Liedern
suchen werden?


Ich mag es nicht, sich an Texten festzubeißen. Ich muß aufpassen, was ich zu diesem Thema sage, aber Texte sind für
mich wie ein Instrument. Meine Lieder sind nicht alle authentisch, genauso wenig, wie Kunst im Allgemeinen ehrlich ist.
Aber ich bemühe mich, Texte zu schreiben, die gut genug sind, um die Musik nicht kaputt zu machen.

Die Arbeit zum neuen Album zog sich über anderthalb Jahre - was hat es für Vorteile, sich so viel Zeit zu lassen?

Es macht im Grunde gar keinen Sinn, und es hat auch zum ersten Mal so lange gedauert. Das hatte mit meiner persön-
lichen Situation zu tun, ich bin sehr zögerlich und verzagt an das Album heran gegangen und mußte mir am Ende sogar ein
Limit setzen.

Teilst Du selbst Dein Schaffen, wie manche der besagten Chronisten, auch in die Zeit vor und die Zeit nach dem Herbst
1998 ein?


Ich habe das eine Zeit lang getan, würde jetzt aber sagen, daß ich es nicht mehr tue. Die Katastrophe ist der größte Stop in
meinem Leben gewesen, aber sie ist wie das Traurigsein zum Teil dieses Lebens geworden. Inzwischen halte ich eher die
Zeit zwischen "Chaos" und "Bleibt alles anders" für die wichtigste, musikalische Zäsur. Vor allem das Treffen mit Alex und
der langsame Prozeß der Annäherung zwischen uns sind die Eckpfeiler meines Wandels.

Was genau habt Ihr denn getan?

Wir haben damit begonnen, alte Songstrukturen zu kippen und neue Formen und Formate zu finden. Dafür mußten wir das
System, nach dem meine Songs sonst funktioniert hatten, immer wieder aufbrechen und neu ordnen.

Du hast mit "Bleibt alles anders" sicherlich auch Publikum verloren, entfernst Dich sowieso immer weiter von den Fans, die
in jedem Konzert nach "Alkohol" und "Männer" brüllen - wie kommst Du damit klar?

Da ich mein Publikum so ernst nehme wie ich jeden Menschen ernst nehme, gehe ich davon aus, daß die Leute neugierig
auf was Neues sind. Auf der Tour damals mußte ich aber feststellen, daß das nicht alle tun. Wer die Suche mitmachen will,
geht sie mit, wer das nicht will, geht. Ich bin kein Angestellter meiner Fans. Ich entferne mich nicht mit Gewalt von ihnen,
nähere mich aber auch nicht gewaltsam an. Und immerhin gab es vor vier Jahren auch viele Leute im Publikum, für die
Grönemeyer vorher kein Gedanke wert war.

Du hast zwei Kinder in die Ära Kohl geboren und 1998, wie ich vermute, auch gehofft, sie könnten nun mal was Besseres
kennenlernen. Wie fällt nun, kurz vor der Wahl, Deine Bilanz aus?


Die Regierung Schröder. Gut. Für mich ist das eine Durchgangszeit. An Kohl habe ich mich gerieben, mit Schröder geht das
nicht. Der ist ja Medienkanzler und erklärt uns, weshalb er den VW Phaeton bauen muß und daß er sich die Haare nicht
färbt. Der Herr Schröder ist ein Mann fast ohne Visionen, die einzige, die er je hatte, war die, Kanzler zu werden. Aber ich
denke, das reicht nicht. Sein Drama ist ja auch, daß er den Herrn Kohl immer bewundert hat ob dessen Popstar-Qualitäten,
das ist fast schon erschütternd, denn Schröder ist nun ja nichts anderes als eine blasse, sozialdemokratische Kopie. Man
weiß gar nicht, wofür er überhaupt steht, da ist nicht eine einzige Facette zu entdecken, bei der man sagt, es sei ganz span-
nend zu erfahren, wie er in diesem Punkt so denkt. Der hat sich noch nie Gedanken über politische Visionen gemacht. Und
er hat, wie alle, die Wiedervereinigung nicht als zentrales Thema der nächsten Jahrzehnte erkannt. Nein, für mich sind
Schröder und mindestens so sehr auch Stoiber Auslaufmodelle einer politischen Kaste, die einfach auch gar nicht mehr alles
um sich herum versteht. Leute wie Lafontaine, ob man ihn mag oder nicht, hatte wenigstens den Plan für ein Album. Schrö-
der hat den nicht, der freut sich, auf der Bühne zu stehen, hat da aber keinen Song zu singen und hat noch nicht mal einen
geschrieben, aber ihm reicht das.

Das war lehrreich und lustig. Warum arbeitest Du auf "Mensch" mit so wenig Humor?

Bitte? Also, wenn ich singe "1000 Haare in der Suppe und ein Loch im Löffel", dann find ich das extrem lustig. Und außer-
dem noch intelligent. Ich hatte immer lustige Songs! Gut, ich bin kein Comedian, aber "Was soll das" zum Beispiel, "Män-
ner" oder "Fanatisch", ich halte die alle für komisch. Meine größten Hits, alle extrem lustig! Vielleicht kann man meinen
Humor leicht übersehen, wenn man will. Aber frag' mal Alex der weiß genau, daß ich manchen Leuten als ständig humor-
voller Mensch regelrecht auf die Nerven gehe! Komisch, daß mich so viele für äußerst ernsthaft halten, wenn meine Lieder
nicht komisch sind, welche dann? Ich habe so viel silly stuff geschrieben, das kann doch keiner alles ernst nehmen, echt
nicht. Humor ist überall, bloß die Deutschen erkennen ihn so selten.