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DAS IST KEINE CARITAS-VERANSTALTUNG
Herr Grönemeyer, wir kennen uns.
Aha.
Es war in den achtziger Jahren im Volkshaus Zürich.
Da habe ich gespielt, ich erinnere mich.
Und zwischen zwei Liedern schrie ich auf die Bühne hoch: "Herbie!" Sie antworteten mit einem "Jawohl!" und reckten den
Arm in Siegerpose. Das gefiel mir, diese Hilflosigkeit, mit dem Publikum einen Kontakt herzustellen. Sind Sie manchmal
einsam da oben?
Früher schon. Als ich das erste Mal live im Fernsehen "Männer" spielte, sangen die Leute plötzlich mit. Da bin ich tierisch
erschrocken. Ja, ich stand da oben auf der Bühne immer extrem unter Druck, war nie ein grosser "Aus-sich-raus-Geher".
So verkrampft habe ich auch getanzt, man muss das ja machen, dachte ich mir. Es gab mal dieses tolle Lied "Grönemeyer
kann nicht tanzen". Heute sehe ich das nicht mehr so verbissen.
Heute spielen Sie vor den Massen. Wie schnappen Sie nicht über?
Ich habe ein extrem stabiles Umfeld, Familie, Freunde, die müssen einen wieder von der Bühne holen. Ich kann heute noch
nicht schlafen nach Konzerten. Als ich jünger war, bin ich danach in die Disco und hab mich zugeballert, ich ging nie vor
sieben ins Bett.
Zugeballert?
Ja, mit House bis Techno - bis mein Körper wieder ruhiger war. Viele steigen dann in die Drogen ein, man hört das ja von
Bands, die monatelang um die Welt touren. Das ist irre schwer. Wir haben mal bei "Sprünge" eine Tournee gemacht mit
hundert Konzerten. Nach siebzig Konzerten fingen wir an, die Hotelzimmer zu zerlegen, da wird man irre. Deshalb mache
ich heute nach dreißig Konzerten eine Pause.
Sie müssen sich auch schützen gegen die Masse.
Es ist beides. Ich bin ja eitel. Ich sauge das auch auf, ich will geliebt werden. Ich will jetzt nicht so weit gehen wie Bono, der
sagte, er sei als Kind nicht geliebt worden und hole sich die Liebe jetzt halt auf der Bühne. Aber ich gehe da schon raus aus
einem unglaublichen Egoismus. Das ist keine Caritas-Veranstaltung, ich mache das auch für mich.
Als Sie, damals am Schauspielhaus Bochum, mit Peter Zadeks damaliger Freundin auf der Bühne standen, rief er ihr von
unten zu: "Zieh ihn aus!" Sie sagten: "Mich zieht keiner aus!", und gingen.
Das ist mein Panzer, richtig. Ich schiebe mit der Musik die Leute auch weg, ich gehe nie über meine Grenze hinweg, alles,
was ich mache, ist Kino, kein Dokumentarfilm über meine Seele. Jede Emotion wird überhöht, ich stilisiere mich selbst,
mach mich zum edleren Recken, als ich wirklich bin. So bleibt eine Möglichkeit zur Distanz. Ich muss ja auf mich aufpassen
und die Musik schützen, das teuerste Geschenk, das ich je bekommen habe.
Wann wurde Ihnen klar, dass Sie Musik machen können?
Das klingt jetzt nach den Fischer-Chören: Aber ich singe, seit ich vier bin, mit sechs habe ich Ukulele zu spielen begonnen.
Mit dem Schauspieler Claude-Oliver Rudolph war ich schon in der Schule. Als ich letztes Jahr fünfzig wurde, hielt der an
meinem Geburtstag eine bahnbrechende Rede. Immer wenn wir wohin fuhren, erzählte er, nahm ich meine Gitarre und fragte:
"Soll ich noch was singen?" Und er schrie immer: "Nein, Herbert, nicht schon wieder ‹Morning Has Broken›!" Ich war halt
immer gut drauf. Eine furchtbare Angewohnheit.
Aber, Herr Grönemeyer, das ist doch heute noch so, dass viele schreien: "Nein, Herbert, nicht singen!"
Da haben Sie auch wieder recht. Ich kann nicht anders. Ich bin halt ein manischer Sänger.
Sie haben mal gesagt: "Jetzt mach ich ein typisches Herbert-Lied." Was ist das eigentlich?
Oh Gott. Es gibt halt Lieder, die findet ausser mir selbst niemand gut.
Was ist das auf der neuen Platte?
"Flüsternde Zeit." Das wird kein großer Hit, ist ja auch belanglos. Aber das ist so ein Lied, das ist gelungen, ein bisschen
zynisch, nicht ganz leicht zu verstehen, keine grosse Message, das ist meine präziseste Nummer auf dem Album. Da
steckt drin, wo ich herkomme, Randy Newman, der Text ist so ein bisschen schräg. Das werde ich auch noch in zwanzig
Jahren mögen. Oder "Land unter", solche Lieder erzählen viel von mir.
Der Umkehrschluss lautet: Sie misstrauen vielen Ihrer Lieder, die eine klare Botschaft haben.
Nur weil manche meiner Lieder eine Message haben, sind sie nicht automatisch gute Lieder. Wenn die Leute sagen, der
Grönemeyer schreibt so tolle Texte, dann freut mich das, aber es sagt mir nicht viel. Aber es ist für mich nicht nur der Text.
Ich schreib den Text, weil es einen Text haben muss. Haben Sie den Film von Scorsese über Bob Dylan gesehen?
Ja.
Der fragt doch den Dylan auch immer wieder: "Sie verkörpern doch den politischen Aufbruch." Und Dylan ist immer ganz
hilflos, fragt: "Wirklich?" Das Lied "Kinder an die Macht" habe ich damals noch schnell auf die Platte getan, weil ich fand, da
müsse noch etwas Heiteres drauf. Mein großer Bruder hatte gerade Kinder gekriegt. Was haben mich da die Kinder-
psychologen auseinandergenommen! Ich wollte doch nur ein heiteres Lied schreiben. Es wird meinen Liedern manchmal zu
viel zugemessen.
Da sind Sie doch auch selbst schuld. Sie packen da ja auch immer viel an, sagen wir mal, Aussage rein.
Nein. Die Essenz der Lieder ist immer die Musik. Da kann man sagen, was man will. Wenn meine Musik nicht diese ner-
vende, penetrante Was-auch-immer-Kraft hätte, ich könnte alles vergessen. Aber, Sie haben natürlich auch recht, ich gehe
der Botschaft nicht aus dem Weg.
Eben.
Man sollte aber auch mal die Kirche im Dorf lassen. Ich mach mein Ding jetzt seit 25 Jahren. Ich war wirklich nicht oft ein
Lautsprecher des Guten. Ich gehöre aber nun wirklich nicht zu denen, die schreien: "Hallo, ich bin hier, ich habe auch eine
Meinung!"
Die Deutschen verwechseln Sie trotzdem oft mit dem lebenden kategorischen Imperativ.
Ich weiß, alles Blödsinn. Ich erzähle Ihnen jetzt mal die Wahrheit. Ich singe meine Lieder zuerst mit so einem Bananen-
englisch. Da sehe ich, ob sie funktionieren. Bei "Ich versteh", einem Lied auf dem neuen Album, habe ich immer gesungen "I
walk the way I talk". Da sagten die Engländer: "Gigantenzeile! Veröffentlichen!" Ich aber bin Deutscher, und da muss ein
anständiger Text her. Da gebe ich mir halt Mühe. Wir Deutschen machen das Radio an und fragen: "Aha, was sagt er jetzt? -
Ah, die Zeile ist falsch, haltet den Dieb! Textpolizei! Verhaften!" So sehe ich mich nicht. Ich finde mich leichtfüssig, selbst-
ironisch.
Ihre Texte haben etwas Anarchistisches.
Aha.
Ja, weil Sie zum Teil nur für Sie selbst verständlich sind.
Das stimmt, finde ich auch wichtig. Und es sind auch Zeilen dabei, die sind in sich nur dämlich. Ich reime mich auch zu
Tode, denn manchmal fehlen mir die Worte. Was ich zum Beispiel mag, aus dem Lied "Ich hab dich lieb": "Du wolltest dich
nicht an mich binden / bin ich ein so oller Baum." Das ist Lyrik vom Feinsten.
Oder, auf dem neuen Album: "Liebe schmeißt nicht ständig Reis / Aber sie macht dich leicht."
Bitte, das muss man erst mal texten! Grandezza!
Hassen Sie es manchmal, dass Sie als Inbegriff des Deutschen wahrgenommen werden?
Das kommt aus den Achtzigern, als ich Interviews mit Journalisten machte, die die Platte gar nicht gehört hatten, mich gar
nicht kannten. Und dann redeten wir halt über Politik. Anna, meine Frau, sagte immer: "Ich kann’s nicht mehr lesen!" So
kam ich in den Ruf, ein ernster Grübler zu sein, der ich nun wirklich nicht bin. Auch damals waren meine Lieder immer wie-
der auch dämlich.
Warum flüchten Sie sich denn nicht ins Englische, wo die Texte nicht so wichtig sind?
Ich kann nicht gut genug englisch schreiben. Und wir habens ja mal versucht, eine Platte ins Englische zu übertragen, wir
haben uns unheimlich präzise an die deutschen Texte gehalten. Da hatte ich eine Kritik in der New York Times: "Best lyrics
of the year but too complicated to understand." War halt zu germanisch, das wirkte im Englischen ballaballa. Aber wenn ich
einen guten Texter finde, der das leichtfüssiger ins Englische übertragen kann, werde ich das nochmals probieren. Aber ich
schreibe sehr gerne deutsch.
Sie haben mal über Ihre Texte gesagt: "Ich versuche es so zu machen, als ob ich typisch deutsche Bratkartoffeln für
jemanden koche."
Schlicht und ergreifend, nicht? Ich nehme meine Texte nicht leicht, aber Sie als Hörer sollten das tun.
Sie machen es trotzdem wieder: "Der Gegner kommt über rechts", heißt es in einem Ihrer neuen Lieder.
Bin halt Fussballfan, es ist eine Analogie zwischen Fußball und Politik.
Es gibt in Ihnen ein leichtes Unbehagen gegenüber dem Land, in dem Sie nicht mehr wohnen. Sie haben mal gesagt:
"England ist eine reife Nation, Deutschland noch nicht."
Ich habe überhaupt kein Unbehagen, man muss sich aber definieren, wo man steht. England ist eine alte Demokratie. Tony
Blair ist einmal mit Blaulicht durch London gefahren. Heidenaufstand. In Berlin fährt jeder Gurkenminister mit vorne drei
Benz, hinten drei Benz. Wir sind eine junge Demokratie, erst seit 15 Jahren zusammen. Wenn ich verletzt war, kann ich
nicht so spielen wie ein Fußballer, der seit zwanzig Jahren unversehrt über die Wiese rennt.
Wem wollen Sie imponieren mit Ihrer Musik?
Dem Publikum.
Das ist mir zu anonym.
Ich terrorisiere fortwährend meine Kinder, meine Freundin mit meiner Musik, frage, wie sie das und jenes finden. Mein Sohn
hat sich hingesetzt und Sterne verliehen für die neue Platte. Das, was ich gut finde, hat ganz schlecht abgeschnitten. Das
beschäftigt mich, ich bin halt ein ein wenig Getriebener, ein Kampfsänger.
Woher kommt das?
Das mag an der preußischen Erziehung liegen, ich wurde nicht immer gelobt für das, was ich mache. Die Devise lautete:
Es geht auch besser. Wenn ich meinem Vater sagte, die neue Platte sei fertig, fragte er: "Ja, aber die Texte?" Es blieb
immer spannend mit meinen Eltern. Aber sie merkten früh, dass ich sehr musikverbunden bin, sie haben mich unterstützt
und machen lassen. Um ihnen zu bewiesen, dass ich auch was Anständiges machen kann, habe ich angefangen, Jura zu
studieren, war aber nichts. Ja, dieses Getriebene, Drängende, Fortschreitende im gesunden Maße ist das o.k., manchmal
auch nicht, das merke ich dann.
Ja?
Ich bin 50, nicht mehr 24. Ich trinke auch keinen Kaffee mehr, geht nicht.
Was passiert dann?
Ich werde ganz hyper und rede dreimal so schnell wie jetzt.
Und aggressiv?
Selten. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber ich bin Widder, und wenn ich aggressiv werde, wird’s furchtbar. Dann werde
ich ganz eng.
Wie sieht das aus?
Hmm. Meine Tochter hat mir gerade gesagt, ich sähe immer so unschuldig aus, sei es aber ganz und gar nicht. Denn
wenn’s kippt, fliegt auch schon mal eine Tasse. Aber darum hab ich ja auch die Musik, ein unglaubliches Ventil. Hätte ich
die Musik nicht, ich wäre vielleicht ungenießbar.
Sie heißen Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer. Hatten Ihre Eltern etwas Größeres mit Ihnen vor?
Sie sind gut. Je länger der Name, umso edler der Mensch? Das kommt von meiner Mutter, die stammt aus einem alten
baltendeutschen Adelsgeschlecht. Sie sind geadelt worden vom russischen Zaren, den mein Urgroßvater in seinem Kurbad
erfolgreich behandelt hatte. Mein Vater kommt aus einer westfälischen, bäuerlichen Familie. Wenn ich meiner Mutter sage,
sie sei Russin, behauptet sie beharrlich: Wir sind Baltendeutsche. Clamor kommt wiederum von meinem Vater, das heißt
ja im Lateinischen "Geschrei". Arthur ist der Urgroßvater, Wiglev ist der Halbbruder meiner Mutter, der gefallen ist im Krieg.
Herbert war mein Großvater. Den Namen "Herbert" mochte ich nie.
Haben Sie die Schicksalsschläge, also der Tod Ihrer Frau und Ihres Bruder im Jahre 1998, weniger rastlos gemacht?
Es war eine Zäsur, weil hier mit Rastlosigkeit, Tatendrang, Energie nichts zu machen war. Das war eine Leere, die man
nicht wirklich begreifen kann. Das war zu viel des Guten. Da muss man auch verdrängen. Ob ich daraus gelernt habe?
Weiß ich nicht.
Kann man lernen?
Wenn man eine Seite liest, bleiben vier Worte übrig. So lernt der Mensch. Fragmente.
Was sind denn die Fragmente, die Sie aus dieser Krise gelernt haben?
Ich gehe die Dinge etwas entspannter an, nicht mehr so manisch, kontrollartig.
Ich habe den Eindruck, Sie hätten künstlerisch von diesen Schicksalsschlägen profitiert.
Weiß ich nicht, das liegt vielleicht daran, dass man Dinge auch mal durchgehen lässt. Ich bin nicht mehr der Ingenieur, bei
dem alles stimmen muss.
Mit Ihrer Platte "Mensch", die diese Krise reflektiert, sind Sie jedenfalls auch verkaufsmäßig in ganz andere Umlaufbahnen
geschleudert worden. Es ist mit 3,5 Millionen die bestverkaufte deutschsprachige Platte, die es je gab.
Musikalisch ist die einfach gut, und dann wurde ich durch diese Krise auch viel öffentlicher als früher. Es war alles anders.
Deshalb halte ich ja auch die Platte davor, "Es bleibt alles anders", für meine beste. Das ist meine eigentliche Auseinander-
setzung mit der Erkrankung meiner Frau. Nur wusste das damals noch niemand. Bei "Mensch" kam dann halt dazu, dass
die Menschen glaubten, Teil meiner Geschichte zu werden. Deshalb ist mir dieser Erfolg, über den ich mich natürlich freue,
auch andererseits nicht ganz geheuer. Voyeurismus wäre übertrieben, aber es geht in diese Richtung.
Sie wissen seitdem, wovon Sie reden. Ihr Schicksal hat Ihre Glaubwürdigkeit vertieft.
So denkt man selbst nicht. Bloß, ich bin seitdem kein neuer Mensch. Und dann muss man schauen, dass man von dieser vermeintlichen Tiefe nicht ständig nach unten gezogen wird. Man schwimmt auch ganz gut auf dem Rücken.
Sie mussten ja damals immer wieder, auch öffentlich, von Ihrem Schicksal erzählen. Gab es da den Punkt, wo Sie sagten:
"Jetzt will ich nicht mehr, ich ekle mich vor mir selbst"?
Das ist das Schlimmste, wenn ich mich wie meine eigene Platte höre: Deshalb halte ich ja Interviews auch in engen Grenzen.
Warum haben Sie damals diese ganzseitigen Todesanzeigen geschaltet und so Ihr Unglück sehr öffentlich gemacht?
Das hat mich mein Vater auch gefragt. Er fand, als Calvinist schreibe man nur den Namen hin, aus. Da hängt auch nichts in
der Kirche, alles Humbug. Das hatte mit einem Zustand zu tun, das ist jenseits von aller Nüchternheit. Da ist man völlig
losgelöst. Da lacht man plötzlich, ein Ventil. Ein Druckkessel war ich da. Heute sage ich: Hätte nicht sein müssen. Damals
schon. Man ist halt immer nur im Moment richtig bei sich.
Denken Sie an den eigenen Tod?
Nee.
Kommen Sie, wenn Menschen aus dem engsten Umfeld sterben, ist man doch immer mit der eigenen Sterblichkeit
konfrontiert. Man weint doch auch immer um sich selbst.
Nee. Nee. Nee. Der Tod kommt sowieso.
Sie sind wirklich ein glücklicher Mensch.
Das war mein Vater. Er hatte so eine merkwürdige Ausgerichtetheit auf den Tod, was mit einer unglaublichen Lebensfreude
zusammenging. Meine Mutter sagte an ihrem 70. Geburtstag über ihn: "Ich verstehe gar nicht, wie jemand so fröhlich sein
kann." Der hat seinen Arm in Stalingrad verloren, seinen Vater, als er vier Jahre alt war. Der beschrieb sich als einen Baum,
der uns ein Leben lang beschützt und dann umfällt.
Wann ist er gestorben?
Vor drei Jahren. Nein, ich bin gelassen, was den Tod angeht. Aber wenn jemand mitten im Leben gehen muss, dann ist das
was anderes. Da wird’s komplexer.
Das hat Sie wütend gemacht?
Unfassbar wütend. Das war eine absolute Gemeinheit. Im Deutschen gibt es ja dieses Wort "Trauerarbeit", das können nur
Beamte erfunden haben. Das gibt es gar nicht, das ist das Falscheste, was man einem Menschen, der jemand verloren hat,
sagen kann. Das ist ein Vorgang in einem, der auch immer bleibt. Wie Freude, Spass, es ist einfach. Es gibt ja auch diese
Mitfühlenden, die noch Jahre später zu einem kommen und fragen: "Dir geht’s richtig schlecht, nicht?" Ich mag das nicht.
Aber generell: Gerade weil man sterblich ist, macht das Leben ja so Laune.
Das merkt man Ihnen an.
Und mit meiner Lebensfreude ging ich vielen früher auf die Nerven. Ich rufe "Hallo", und die denken: Nein, jetzt kommt der
schon wieder! Aber ich hör jetzt wirklich auf.
Schon gut. Alle wollen von Ihrer Trauer profitieren, man macht Sie zur Trauerikone.
Das war auch die Angst meiner Kinder. Der traurige Alte. Ich war aber damals auch immer wieder gut drauf, hab einen Witz
gemacht. Das geht in England, aber mach das mal in Deutschland, das geht nun gar nicht. Da hat mir mein Wohnort London
schon geholfen. Der große Schriftsteller Oscar Wilde soll auf dem Sterbebett zur hässlichen Tapete gesagt haben: "One of
us must go." Das ist gut. Und als Musiker ist es dort sowieso gut. Die englische Wirtschaft basiert auf drei Betriebszweigen.
Hat mir der englische Botschafter in Berlin erzählt. Rate mal.
Das ist erhärtet?
Ja, die haben zwar die Banken, aber die sind fast ausschließlich in ausländischer Hand. Wenn ich also in England sage, ich
mache Musik, dann ist das so, als wenn ich in Deutschland sage, ich sei Professor für angewandte Literatur. Sagst du in
Deutschland einem, du machst Musik, kommt die Rückfrage: "Und was machen Sie beruflich?" In England würde das nie
einer fragen. Musik ist dort Klasse. Ich habe fünf Fernsehkanäle in England, da kommt die ganze Zeit Musik, zu den besten
Sendezeiten. In Deutschland? 25 Kanäle. Grönemeyer-Konzert? Nachts um halb eins, eine halbe Stunde. Kann man doch
niemandem zumuten.
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