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Stell Dir vor, Otto Rehagel fragt Dich, wie sich Deine neue Platte anhört.
Fußballerisch gesehen?
Ja.
Fußballerisch kommt die Platte ganz klar über die Flügel, im Gegensatz zu "Bochum", das kam viel mehr durch die Mitte.
"Bleibt Alles Anders" ist spielerisch entspannter, technisch versierter, leichtfüßiger. Es gibt zwischendurch kleine Kabi-
nettstückchen zu beklatschen, und es kommt auch zum erfolgreichen Abschluß, also zum Tor. Es ist sicherlich nicht das
moderne Kampfspiel, das auf die Knochen geht. Eher das von Marco Van Basten, wo bei all dem Kampf immer auch noch
viel Technik und Spaß zu sehen ist.
Und die Abwehr?
Die Abwehr ist relativ überflüssig. Das Mittelfeld hält alles auf. Da kommt keiner durch. Wir haben ja auch mehr Erfahrung.
Bei "Bochum" bin ich noch öfter in die Abseitsfalle gelaufen. Hier tänzele ich öfter davor. Ich würde sagen, die Platte ist bra-
silianisch, oder vielleicht wie Gladbach in der Hochzeit mit Günter Netzer.
Spielst Du selber Fußball?
Klar. Immer Libero.
Warum hast Du so lange weder eine Tour noch Platten gemacht? Hattest Du keine Lust mehr auf Musik?
Doch. Schon. Aber ich mußte eine Pause einlegen. Im Grunde habe ich ja seit 1980 nichts anderes getan außer: Tour, Plat-
te, Tour, Platte, Tour. Deshalb habe ich einfach auf die Bremse getreten, um auch in Ruhe überlegen zu können: Wer bin
ich? Wie heiße ich? Wo will ich eigentlich hin?
Klingt langsam. Nicht nach Grönemeyer.
Ja, das war aber meine einzige Chance. Wenn ich mich selber nicht gebremst hätte, wäre das genau so weitergegangen.
Man geht ziemlich fliegen, man hat keine Bodenhaftung mehr. Das hat zur Folge, daß man einfach den Kontakt zur Realität
verliert. Ich bin dann auch umgezogen, nach Berlin, und ich habe die ganze Zeit sicherlich auch nicht aufgehört zu schreiben.
Theoretisch könnte ich gleich noch eine zweite Platte aufnehmen.
Und warum machst Du das nicht?
Wegen der Texte. Das Leben könnte so schön sein, wenn ich keine schreiben müßte. Natürlich bin ich stolz, wenn mir einer
mal besonders gut gelungen ist. So ist das nicht. Aber das ist bei jeder Platte das gleiche Dilemma. Während ich die Lieder
schreibe, singe ich sie immer mit einem englischen Bananentext. Für mich wären sie dann schon fertig.
Warum? Sind die Texte nicht so wichtig für Dich?
Wenn ich etwas komponiere, dann beinhaltet die Musik schon das ganze Grundgefühl. Ich erzähle mit den Tönen schon
das, was ich mit Worten gar nicht ausdrücken kann. Auf meinen Platten steckt immer mehr zwischen den Zeilen als in den
Worten selbst.
Warum hat es dann bisher noch kein Instrumentalalbum gegeben?
Hat es doch. Ich habe Filmmusik geschrieben. Aber ein reines Instrumentalalbum? Das würde in Deutschland nicht funk-
tionieren. Wir wollen doch immer wissen: Was will uns der Künstler damit sagen? Ein Lied braucht einen Text. Das war aber
in den Achtzigern noch viel extremer, mit den ganzen Politbarden und diesem linksliberalen Parkergesinge. Außerdem ich
finde, meine Stimme ist ja auch ein Instrument. Ich würde mir da schon selber fehlen.
Hast Du während dieser Pause darüber nachgedacht, ganz mit der Musik aufzuhören?
Das passiert zwangsläufig, wenn man sich überlegt, unter welchen Voraussetzungen man überhaupt weitermachen will.
Und?
Es hat eine Weiterentwicklung geben müssen, nicht nur musikalisch. Ich wollte wieder eine Platte in der Hand halten, die
mir selber Spaß macht, die knackt, die neue Einflüsse verarbeitet und auch einen Schritt in eine Richtung geht, wo man sich
selber noch gar nicht auskennt.
Was hast Du in dieser Aus-Zeit am meisten vermißt?
Das Auftreten. Konzerte sind für mich ja immer ein gutes Druckventil gewesen. Am wenigsten habe ich das Plattenmachen
vermißt. Doch mit dem nötigen Abstand erkennt man, was im Grund auch daran wichtig war. Ich habe wieder zu dem Punkt
zurückgefunden, wo ich sagen kann: So und nicht anders stelle ich mir Musik vor. Ohne Rücksicht auf irgend jemanden oder
etwas. Ich wollte wieder an genau den Punkt zurückkommen, von dem ich damals losgezogen bin. Warum mache ich über-
haupt Musik? Was interessiert mich daran? Deswegen mußte ich aus der Branche raus, habe keine Interviews mehr gege-
ben, bin nicht mehr live aufgetreten.
Was geht einem dann durch den Kopf?
Vieles. Daß man sich selber ganz schön idealisiert oder stilisiert hat. Plötzlich erlebt man Dinge und Menschen ganz an-
ders, präziser, detaillierter, feiner. Das hat übrigens auch wieder mit Musik zu tun: Wenn Du Deinen eigenen Rhythmus als
den allheilbringenden ansiehst, dann läuft eine Unterhaltung zwangsläufig auf ein Wettrennen hinaus. Nimmst Du Dich aber
erst einmal zurück und findest mit dem anderen einen gemeinsamen Rhythmus, dann kann aus einem Gespräch ein Tanz
werden. Das ist dann zwar langsamer, aber schlußendlich ein viel schönerer Beat. Ich glaube, daß ich wieder zurück-
gefunden habe. Deshalb habe ich das Ganze auch so lange hinschleppen müssen. Ich habe noch nie so lange eine Platte
gemacht.
Wie lange hast Du insgesamt daran gearbeitet?
Fast anderthalb Jahre. Ich war aufgeregt, aber auch ziemlich sicher. Wie das Lied "Bleibt Alles Anders": Du hast eine Idee,
eine Vision, die Du nicht beschreiben kannst. Aber Du mußt einfach losgehen. Und dann erreichst Du die auch.
Klingt wie "Jeder kanns schaffen".
Das meine ich aber nicht. Der Punkt ist einfach, den Mut zu haben, sich tatsächlich zu verändern. Das ist mir anfangs auch
schwergefallen. Doch das steckt ganz extrem in der Zeit, in der wir gerade leben, auch in einer Stadt wie Berlin.
Was ist denn so besonders an Berlin?
Dort prallen tagtäglich Ost und West aufeinander. Dort kann man nicht wie in Westdeutschland unter seiner Käseglocke le-
ben und denken: Das kommt nie zu mir, das ist nur in den Nachrichten. In Berlin muß man sich, anders als in München,
Frankfurt, Köln oder Hamburg genau dem stellen. Zwangsläufig gibt es hier neue Menschen, mit denen man sich auseinan-
dersetzen muß und kann. Darin sehe ich auch eine unglaubliche Erweiterung für den Kopf. Was aber scheinbar keiner will.
Derzeit versucht die Politik in Deutschland doch zu verhindern, daß wir voneinander etwas erfahren. Die Leute im Westen
wissen von den Ostlern nichts außer, daß sie den Solidaritätsbeitrag zahlen müssen.
Du warst doch aber immer gegen die Wiedervereinigung.
Ja, ich bin auch nach wie vor gegen diese schnelle Wiedervereinigung. Ich denke, die Probleme mit ihren alten Verbrechern
wie Krenz oder Mielke oder wie sie alle hießen, das hätten die im Osten selber besser ausmachen können. Sie hätten bes-
ser aufräumen können in ihrem eigenen Haus und hätten dann das Gefühl gehabt, eben auch was das Selbstbewußtsein
angeht, sie hätten was geschafft. Sie hätten ihren eigenen Mist aufräumen können. Und dann hätten sie sich selbstbewußt
stellen können: jetzt sind wir bereit, jetzt können wir über eine Wiedervereinigung nachdenken. Aber so, was passiert, ist:
Wir sind da rübergerannt, haben die aufgekauft, alle Fabriken für 1,50 DM. Und das hinterläßt halt bei denen den Frust, wir
haben ihre Vergangenheit weggenommen, wir haben nicht respektiert, daß sie auch 40 Jahre Geschichte haben, man kann
ja darüber denken, wie man will . Man hätte ihnen Zeit lassen müssen, einfach erst mal mit sich selber klarzukommen. Weil
sie auch die Strukturen besser kennen. Der Westler rennt da rein und sagt, ihr seid ja eh alle blöde, wir klären das jetzt, wir
machen jetzt hier Scheinprozesse gegen irgendwelche Leute, die werden dann verurteilt, weil sie irgendwie 1938 mal ein Ver-
brechen begangen haben. Die Ostdeutschen hatten nicht die Chance, z. B. die Leute, unter denen sie gelitten haben, selber
abzuurteilen, oder eben auch diese ganzen Seilschaften zu zerschlagen, die jetzt natürlich noch immer da sind. Also, inso-
fern bin ich gegen diese schnelle Wiedervereinigung. Ich hätte die lieber gesehen 15 Jahre später oder so. Aber jetzt ist sie
ja nun mal da und jetzt können wir nicht mehr so rumsitzen und lange lamentieren. Jetzt ist es nun mal so. Aber wenn man
dann einen Lauschangriff startet, schürt man in einem Land, was eben kein Mißtrauen gebrauchen kann, ein ganz neues
Mißtrauen. Plötzlich ist man nicht nur gegenüber den Neuen mißtrauisch, sondern auch gegenüber seinen Nachbarn. Und
plötzlich ist da wieder diese alte Blockwart-Mentalität: Jeder verrät seinen Nachbarn, den er nicht leiden kann. Entweder ist
er jetzt Steuersünder oder man verrät ihn, dann wird er abgehört. Deswegen ist auch dieser Lauschangriff so traurig. Im Grun-
de genommen entlarvt er eine Krankheit in Deutschland. Wir haben 5 Millionen Arbeitslose. Das sind irgendwelche Phanto-
me. Keiner kennt sie, keiner weiß, was die machen. Jetzt planen sie einen Lauschangriff gegen die angebliche Überkrimi-
nalität in Deutschland. Im Gegensatz zu der Arbeitslosigkeit und diesem dramatischen Rechtsdruck und den Jugendlichen,
die mit ihrer Energie nicht mehr wissen, wohin, sehe ich diese Kriminalitätsprobleme am allerwenigsten. Die suchen sich ein
Terrain, wo sie von dem tatsächlichen Problem ablenken können. Und schießen so peinlich 20 Meter neben das Tor. Das
muß doch der Blödeste inzwischen sehen. Und wenn Herr Scharping sagt, er will Leuten, die Steuersünder verraten, eine
Prämie zahlen, dann kann ich nur sagen: Gegen den ist der rechteste CSU-Mann ein Revoluzzer. Wenn das aus einer Partei
wie der SPD kommt, einer Partei, die selber im Dritten Reich politisch verfolgt war, dann kann ich nur denken: Die haben
sich aufgelöst. Es gibt in der SPD keine Überzeugung mehr. Wer dem Lauschangriff und der Asylrechtsänderung zustimmt,
der verrät seine Tradition und seine Geschichte.
Das hört sich schlimm an.
Nein, ich bin Optimist. Das war ich schon immer. Das, was ich in Berlin sehe, das ist die Zukunft, wie auch immer.
Aber die Realität ist doch eine ganz andere.
Wer heute zwanzig ist, kennt leider nur Helmut Kohl, dessen Gesinnung, dessen politische Strategien. Der ist mit diesem
flachen Geist großgeworden, hat keine Siebziger, keine Achtundsechziger mitgemacht. Aber er steht jetzt genauso vor der
Situation 1998. Und er merkt: "Irgendwie laufe ich hohl. Irgend etwas fehlt mir." Er weiß vielleicht nicht, was es ist. Aber es
fehlt ihm.
Woher willst Du das denn wissen?
Das kannst du an Gesprächen merken, wenn Du Dich mit Leuten unterhältst. Sie wollen raus. Raus aus dieser stärker wer-
denden Vereinzelung, diesem autistischen Prinzip. Sie wollen wieder mit ihrer Außenwelt Kontakt aufnehmen, wissen nicht,
wie, haben aber das ganz tiefe Empfinden, daß sie auf einem Trockendock sitzen. Das sieht man. Das spürt man bei ganz
vielen Menschen, mit denen man sich unterhält. Ein Mensch kann ohne Kultur vielleicht nicht überleben, aber er kann gewin-
nen. Wie alle Strategen.
Bewunderst Du dafür nicht einen Mann wie Helmut Kohl?
Nein, weiß Gott nicht. Aber er hat die deutsche Mentalität genau verstanden. Er hat als Polit-Popstar nicht nur das Volk hin-
ter sich gebracht, sondern auch den ganzen Bundestag. Alle bewundern ihn, so wie Joschka Fischer sagte: "Mit dem kann
man sich gut über Pudding unterhalten." Das ist nicht bewundernswert, sondern das entlarvt im Grunde genommen unsere
Unfähigkeit, andere Positionen durchzusetzen und Demokratie zu leben. Wir sind ein ganz junges Land. Darüber denken wir
nie nach, weil wir glauben, wir seien wirtschaftlich erfolgreich, haben ja die Beethovens und Goethes und Schillers. Wir den-
ken immer, wir sind groß und dick und fett. Was wir allerdings vergessen, ist, daß unsere gesamtdeutsche Demokratie ganz
jung, ganz empfindsam ist. Die ist gerade mal sieben Jahre alt. In so einer Zeit ist es absurd, einen Mann wie Kohl so lange
an der Macht zu lassen. Egal, wie man politisch denkt.
Warum interessierst Du Dich so sehr für Kohl?
Ich habe mich immer gefragt: Begreifen die Menschen eigentlich, daß da ein Machtmensch sitzt? Einer, der immer und so-
fort, wenn die eine Idee nicht funktioniert, eine andere sucht, um die Leute so wie mit seinem Europa von seiner Unfähig-
keit abzulenken? Er macht keine Idee zu Ende, liefert inhaltlich keine Ergebnisse und findet dann im letzten Überlebens-
kampf zum Beispiel etwas wie das Asylrecht. Das war das erste. Bei dieser jungen Verfassung einen Artikel zu ändern ist
eine Vergewaltigung. Der zweite Eingriff ist jetzt der Versuch, noch weiter ins Grundgesetz einzudringen, nämlich auch noch
den Lauschangriff durchzusetzen. Er vergewaltigt die Grundfesten der deutschen Demokratie. Er vergewaltigt präzise, er
versucht jeden Widerstand zu kontrollieren.
Haben die Deutschen ein Problem mit der Haltung?
Nein. Die Deutschen haben überhaupt kein Problem mit Haltung. Die Leute haben noch gar nicht gelernt, was Haltung ist,
weil sie nicht so erzogen wurden. Das kann man wieder mit Musik vergleichen: Wenn ich mir viele verschiedene Musikstile
anhöre, fange ich an, mir meinen eigenen Kopf, meine eigene Musik zu bilden. Je weniger die kulturelle Vielfalt in einem
Land gefördert wird, desto weniger ist der einzelne in der Lage, überhaupt irgendeine Meinung oder Haltung zu entwickeln.
Man verhält sich irgendwie, und wenn man jetzt noch belauscht wird, dann verhält man sich am besten gar nicht mehr. Das
heißt nicht, daß sich die Deutschen nicht gerne verhalten. Eine politische Meinung zu haben, die auch extrem zu vertreten,
das ist in Deutschland noch gar nicht gewachsen: Haltung zu zeigen und eine Zivilcourage zu entwickeln.
Sind Kunst und Kultur auch immer politisch?
Politik ist nichts anderes als das Zusammenleben von Menschen. Und Kunst ist das gleiche, aber eben der ganz persönli-
che Ausdruck dieses Zusammenlebens. Ich habe mal einen Brief von Rupert Neudeck von der Cap Anamur bekommen. Er
schrieb, als sie damals die vietnamesischen Flüchtlinge aufgenommen hatten, spielten sie auf dem Schiff bei ihrer Fahrt über
das Meer immer über Lautsprecher "Bochum". Und das genau kann die Funktion von Musik sein. Nicht Politik zu machen,
aber eben die Leute in ihrem eigenen Ich zu stärken und zu motivieren. Ich mach meine Musik und ich trommel für gewisse
Dinge, aber die Leute, die wirklich politisch sind, das sind ganz andere.
Hast Du irgendwann mal das Gefühl gehabt, damit aufzuhören, Kunst zu machen?
Ich mache keine Kunst. Ich erzähle von mir. Ich denke, jeder Mensch lebt in seiner Kunst und drückt sich sehr speziell und
eigenständig aus. So wie man das selber macht, macht es kein anderer.
Wessen Beschaffenheit beschreibst Du in Deinen Texten?
Meine eigene. In allen Liedern, die ich schreibe auch wenn ich kritische Lieder schreibe oder mir über Phänomene Gedan-
ken mache in jedem Lied, das ich schreibe, stecke ich auch selber. Was leider immer noch viel zu sehr von mir abstrahiert
wird. Ob "Männer" oder jetzt so ein Lied wie "Energie". Ich stehe da überhaupt nicht drüber, und ich bin auch nicht so hehr
und redlich oder sehe das als einziger so präzise. Nein! In jedem Lied steckt auch immer ein deutliches Maß von mir selber.
Was an Dir ist typisch grönemeyerisch?
Ich bin melodieverliebt. Ich denke in Melodien. Ich mag Kitsch. Ich finde Kitsch klasse. Ich schreibe zum Beispiel alle meine
Lieder als Ballade, ob die schnell oder langsam sind. Jedes Lied, das ich schreibe, ist am Anfang immer eine Ballade. "Was
soll das?" oder "Bleibt alles anders" alles Balladen. Zu Hause teste ich die Melodiebögen ganz ruhig und langsam bis zum
Extrem aus: Steckt in der Melodie eine Kraft? Hat die ein Stehvermögen? Ich könnte meine Lieder auch total hochpathetisch
wie eine Operndiva herausknattern und aufpumpen, aber genau das will ich nicht. Ich mache sie lieber brüchig, singe sie
ganz leise oder zerkloppe sie. Und das, finde ich, ist typisch Grönemeyerisch.
Was an Dir ist bis heute völlig verkannt worden?
Daß ich furchtbar viele lustige Lieder geschrieben habe. Das haben die wenigsten begriffen, weil sich die meisten Deutschen
immer nur ganz platt mit Texten auseinandersetzen und gar nicht sehen, was zwischen den Zeilen steht. Ich gelte ja auch
gemeinhin als nüchtern, dröge und nachdenklich. So empfinde ich meine Platten gar nicht. Ich finde meine Platten relativ
leichtfüßig und heiter, natürlich auch aggressiv, aber überhaupt nicht als griesgrämig oder nachdenklich oder politologisch.
Was hörst Du zu Hause?
Ich höre sehr viel Musik aus Bristol. Auch Leftfield, Moloko, die Chemical Brothers und eine Menge Drum'n'Bass.
Und was ist Drum'n'Bass?
Oh Gott! Ich glaube, die Kultur oder genauer, die Popkultur zeigt viel früher auf, wo es langgeht: Nämlich, daß eine Zäsur
stattfindet, und daß man sich wieder Zeit nehmen muß. Der Bassist und der Drummer sind immer das Basiselement jeder
Band. Der Herzschlag. Drum'n'Bass ist im Grunde genau das, doch viel sozialer, für viel mehr Leute zugänglich. Man kauft
sich einen Drum-Computer, legt sich irgendwie eine Fläche oder spielt einen Baß dazu und kann erzählen: "Ich komme aus
Hamm-Uentrop oder aus Bad Salzuflen, und zur Zeit läuft das und das, und meine Sehensweise von der Welt ist soundso."
Die Musik der Zukunft?
Bei all diesem "kapitalistischem nach vorne" gibt es in der Kultur plötzlich eine Bewegung wie im Drum'n'Bass, die das Ge-
genteil vollzieht. Die sich völlig zurücklehnt und trotzdem wirkt. Das hätte man früher in den 80er Jahren nie für möglich ge-
halten. Aber es geht, dieses Verschleppen von Rhythmus, diese Zäsur, dieses Langsamerwerden. In so einer hektischen
Zeit funktioniert plötzlich eine Musik der Gelassenheit, der Ruhe, der viel größeren Entspanntheit, und das setzt im Grunde
genommen schon musikalisch einen totalen Kontrapunkt zu einer Zeit, die rast wie Malle.
Du hast vorhin erzählt, Du warst mit Deinem Freund Anton Corbijn im Kino und hast nach achtzehn Jahren zum ersten Mal
wieder "Das Boot" gesehen, den Director's Cut. Was war das für ein Gefühl?
Ein komisches. Ich hatte damals nur die Premiere in München gesehen und war dabei so aufgeregt, daß ich die ganze Zeit
die Hand vor das Gesicht gehalten und nur durch die Finger geguckt habe. Gestern kamen natürlich viele Erinnerungen zu-
rück. Das war für uns alle ein unheimlich intensives Jahr. Wenn man die Leute alle wiedersieht und weiß, was man mit de-
nen abends gemacht hat, worüber man geredet hat dieses Jahr war eine ganz wichtige Zeit in meinem Leben. Es gibt viele
Szenen, die habe ich wirklich in den Sand gesetzt. Aber es gab auch gute Sachen. Das war schön zu sehen.
Hast Du Dich alt gefühlt?
Nee. Hab ich nicht. Meine Freunde haben ein paar Bemerkungen gemacht, mein Babyspeck sei jetzt endlich weg, damals
sei ich ja noch rosig und rund gewesen. Anton sagte, ich hätte damals deutscher ausgesehen als heute. Was immer das
heißt.
Wovor hättest Du heute am meisten Angst?
Wenn sich herausstellt, daß ich mir selber etwas in die Tasche gelogen hätte. Wenn sich das, so wie ich die Dinge jetzt
sehe, als totaler Irrglaube oder als eine Wunschvorstellung entpuppt.
Was kann jetzt der erwarten, der die neue Platte kauft?
Daß das auf keinen Fall so klingt wie "Bochum". Da sind weder "Männer" noch "Flugzeuge" noch "Alkohol" drauf. Wenn er
die Platte kauft, wird er an ihr ablesen können, was in vierzehn Jahren alles passiert ist. Ich sehe Dinge anders, und so ist
auch die Musik.
Herbert, es gibt Leute, die finden Dich einfach blöd. Egal, was Du tust. Warum wohl?
Ich denke, ich versuche das so intensiv zu machen, was ich mache, daß Leute dabei auch Brechreiz kriegen können. Das
hat erst mal mit dem Riesenerfolg, den in den 80ern mit Bochum hatte, zu tun. Dann sicherlich auch mit meiner Optik. Ich
weiß nicht, mit der Locke? Vielleicht auch mit meiner Klappe, die ich habe.
Und wofür muß man Dich einfach liebhaben?
Eben, weil ich erst mal so blendend aussehe. Ich finde, das ist ganz wichtig. Daß ich wunderschön singen kann, daß ich
traumhafte Lieder schreibe, und daß ich auch in der Lage bin, die Leute live zum Hüpfen zu bringen...
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