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Bevor wir auf die Einzelheiten Konzert und neues Album eingehen: Grönemeyer und der Osten ist mein erster Themenblock.
Was macht eigentlich das Projekt 08/16 in Leipzig, Grünau - gibt's das noch?"
Das gibt's noch. Wir sind gerade am überlegen, wie wir das noch weiterführen. Die Intention damals, als wir es 1993 gegrün-
det haben, war eben der Versuch, wie man es schafft, ein Jugendheim zu bauen, das es speziell rechten Jugendlichen er-
möglicht, eine Anlaufstelle zu haben - Leute zu haben, die mit ihnen reden, die ihnen Tips geben, die sie bei der Arbeitssu-
che, zum Teil auch bei Prozessen begleiten, die sie ja wegen irgendwelchen Ausschreitungen hatten. Ich wollte damit ein-
fach zeigen, daß man ein Land nicht einfach wiedervereinigen kann und einfach sagen kann, daß wir da Geld reinschmeißen
und das war's. Man muß sich auch Gedanken machen, was das für die Menschen heißt, wenn sie plötzlich in ein neues
System reinmüssen, d.h. aus der Sehensweise der Menschen im Osten. Und man muß versuchen, sich um die Menschen
irgendwie zu kümmern. Nicht, weil es irgendwelche Notfälle sind, sondern eben zu zeigen, daß wir auch versuchen, mitzu-
denken: Das war das Problem in Grünau, daß diese speziell rechten Jugendlichen extrem für Randale gesorgt haben, weil
sie mit ihren Kräften auch nicht wußten, wohin. Dann gab es in Grünau ein Jugendheim, in das sie nicht reindurften, das
auch abgerissen werden sollte. Interessanterweise damals - wie die Geschichte so spielt, der Jugendbeauftragte damals war
der Herr Tiefensee, mit dem wir das damals ausgehandelt haben - das nächste Problem war, daß es gar nicht möglich war,
mit einer Stadt so etwas zusammen zu bauen, das war ganz kompliziert, denn das kannten die gar nicht. Jetzt nicht speziell
in Leipzig, sondern generell.
Welche Verbindung hast du jetzt zu Leipzig, wann warst du zuletzt da?
Bei dem Konzert gegen Rechts im letzten Jahr. Das war das letzte Mal. Jetzt merken wir aber, daß die Jugendlichen, eine
Gruppe, um die wir uns gekümmert haben, das waren ca. 20 Jugendliche - die sind nicht mehr da, jetzt quasi 9 Jahre weiter
und wir sind gerade am Überlegen - da gibts auch Tendenzen von der Stadt Leipzig, wie weit ist das Jugendheim noch, gibts
das noch, da gibts ja inzwischen viele weitere Entwicklungen - gibt es noch einen Sinn für das Jugendheim, oder ist diese
Phase im Grunde abgeschlossen?
Du weißt jetzt also auch nicht, wie es richtig weitergeht im Moment?
Ich habe jemanden, der sich darum kümmert, Jürgen Maschke aus Aachen. Er hält mich auf dem Laufenden und hat mir
gerade geschrieben, daß wir jetzt darüber nachdenken müssen - sollen wir so weitermachen, können wir noch Neues erfin-
den oder ist das Thema jetzt vorbei? Dann gab es mal eine Zeit, in der wir uns hauptsächlich um Mädchen gekümmert ha-
ben, z. T. auch aus dem rechten Lager, aber jetzt sieht es so aus, als ob es nicht mehr viel Sinn macht.
Jetzt führt dich deine Tour auch drei Mal nach Ostdeutschland. Ist das für dich immer noch etwas Besonderes, vor
Publikum in Ostdeutschland zu spielen?
Grundsätzlich ist mein Verhältnis zu den Menschen in Ostdeutschland einfach so, daß in Briefen und in der Art und Weise,
wie sie sich mit mir auseinandergesetzt haben, und auch danach immer noch eine andere ist als im Westen. Im Grunde
genommen fast eine intensivere, und weil ich ihnen auch vor der Wende sehr viel bedeutet habe. Neulich war ich in einer
psychiatrischen Klinik in Uchtspringe bei Magdeburg und habe mich da mit Patienten unterhalten. Die Art und Weise, wie
sie sich mir nähern, ist eine direktere.
Haben sich denn die Briefe inzwischen verändert? Du hast erzählt, du bekamst um die 80 Stück, in denen drinstand:
"Komm bloß nicht zu uns", "Bei uns gibts deine Platten nicht" - die Leute fordern dich jetzt im Osten, sie wollen dich sehen.
Da hab ich zumindest den Eindruck, was da letzte Woche bei uns an Resonanz im E-Mail-Forum kam. Leute konnten bei
uns Fragen stellen, die sie dir heute gerne hier in der Pressekonferenz gestellt hätten. Die Leute wollen dich, sie fordern
dich.
Ich glaube, daß ich darauf gehört habe, als ich damals wirklich oft von der alten Regierung eingeladen wurde; die Angebote
wurden immer größer. Ich glaube, daß ich gezeigt habe, daß ich mich dem auch widersetzen kann. Das hat die Beziehung
zwischen uns einfach intensiviert. Es ist eine intensive, wie ich das jetzt beschreibe, ohne zu beschönigen. Die Beziehung -
gerade zu den Fans im Osten ist sehr, sehr intensiv. In den 90ern haben wir in Ostdeutschland viel gespielt und nach wie vor
ist das was Besonderes.
Die Leute haben wahnsinnige Probleme: Arbeitslosigkeit, wahnsinnig wenig Geld zum Überleben - sie müssen wirklich
schauen, ob die Stütze 30 Tage lang reicht - meinst du, sie können die Eintrittskarten für dein Konzert bezahlen?
... Das ist eine schwierige Frage. Wir versuchen nach wie vor mit der Produktion, die wir haben, mit dem Aufwand auch an
MENSCH, (wir sind 80, 85 Leute auf der Tour, haben eine 8-9 Traktur, also eine Traktproduktion), die Preise niedrig zu
halten. Wir nehmen glaube ich 23 *, was aber in dem Umfeld, wenn man andere Konzerte sieht, immer noch respektabel ist.
Nach wie vor glaube ich auf der anderen Seite, daß es viel Geld ist - speziell für Menschen im Osten. Wir versuchen so hart
zu kalkulieren, wie wir das immer gemacht haben, so daß wir den niedrigsten Preis anbieten können. Insofern glaube ich,
daß der Preis im Vergleich mit anderen Eintrittskarten immer noch weit am unteren Ende liegt. Ich möchte es schaffen, daß
es erschwinglich bleibt. Wobei selbst das Erschwinglichkeit für viele nicht mehr erschwinglich ist, das weiß ich auch.
Was kriegt man bei dem Konzerten für 23 * geboten? Wie sieht die neue Tour ALLES GUTE VON GESTERN BIS
MENSCH aus?
Der Name soll zeigen, daß wir nicht nur Sachen von der neuen Platte spielen, sondern eben auch alte. Wir haben eine
Riesenbühne, sehr spezielles Licht, eine große Projektionsfläche. Wir lassen uns Dinge einfallen, um den Abend in der Halle
für die Leute so werden zu lassen, als ob man die Leute zu sich nach Hause eingeladen hat - "Wir freuen uns, daß ihr
kommt, aber wir werden auch versuchen, euch als "Gastgeber" einen Abend zu liefern, daß wir Euch das Gefühl geben, ihr
seid uns wahnsinnig willkommen und werden am Ende des Abends "Auf Wiedersehen" sagen - schön, daß wir uns getroffen haben."
Stand der Dinge war ja schon atemberaubend in Hannover, mit den vielen vielen Streichern. Wie viele waren's? 30, 50?"
64.
64 Streicher, es wird wieder welche geben, hast du heute verraten.
Ich bin gerade am überlegen, denn das ist eine soundtechnische Geschichte: Ich kann kein Riesenorchester mitnehmen,
das geht nicht. Da wir bei der neuen Platte mit sehr vielen Streichern gearbeitet haben, geht meine Überlegung dahin, even-
tuell eine kleinere Besetzung mitzunehmen. Das müssen wir aber noch durchkalkulieren und überprüfen, ob wir das vom
Sound her so in den Hallen rüberbringen können. 64 klingen eben anders wie 12 oder 15. Wenn uns das gelingt, würde ich
sie gerne mitnehmen. Eine kleinere Besetzung, das dann mit Keyboards mischen, um dem Ganzen wieder eine andere
Farbe zu geben.
Das war ja schon etwas Neues, das hat dir ja mal so ein bißchen den Kick gegeben: Immer wieder etwas Neues auszu-
probieren. Du warst der erste, der eine Homepage gemacht hat; dann mit so einem großen Orchester und Streichern auf-
getreten ist. Was hast du denn noch so im Kopf, auf was dürfen wir uns denn freuen - was wir noch nie auf einer Bühne
gesehen haben?
Wenn ich sehe, was Bands wie U2 an Eintrittspreisen nehmen und - weil sie eine Welttournee fahren - eine ganz andere
Produktion auf die Beine stellen - das können wir nicht. Mit unseren Mitteln werden wir versuchen, optisch so viel zu bieten,
daß es immer mal wieder Momente gibt, an denen sich die ganze Bühne verändert oder Sachen passieren, wo man als
Zuschauer eben nicht nur die Musik hört, sondern auch optisch Dinge erlebt, die er noch nie gesehen hat. Mein Licht-
techniker hat ein Licht und eine Kamera entworfen, von denen wir 15 Stück mitnehmen können. Diese ist in der Lage, auf der
Bühne Projektionen herzustellen, die es bisher noch nicht gegeben hat. Mit unseren Mitteln, mit unseren Möglichkeiten, die
wir haben, versuchen wir immer, trotzdem noch innovativ zu sein. So war das mit meinem Techno-Album, so war das auf der
letzten Bühne, die wir hatten (Mit den ganzen Projektionen, die wir gemacht haben). Jetzt werden wir vielleicht noch mehr
mit Film arbeiten."
Wie wird die erste Single heißen? Gibt's da schon einen Titel?
Nein, es gibt noch keinen. Ich bin noch mitten im Texten, die Musik ist aber fertig. Das war immer so, ich schreibe die Texte
erst danach. Ich weiß ziemlich sicher, welche Nummer die Single wird, weil die von der Musik her einfach so ist, daß das die
erste Single wird. Ich hab da einen riesigen Text dazu, mehrere Texte. Die bastle ich jetzt gerade zusammen. Daraus wird
sich dann der endgültige Text ergeben. Ich habe also noch keinen Titel für die Nummer. Das ziehe ich immer bis zum letzten
Moment raus.
Gut. Freuen wir uns also auf die drei Konzerte in Mitteldeutschland. Wie lebt sich es eigentlich in London, mit Abstand nach
Deutschland? Viele wußten das gar nicht, daß du in London lebst.
Anfangs war es nur die Idee, ein halbes Jahr nach England zu gehen, weil die Kinder einfach mal in einer anderen Kultur le-
ben sollten. Meine Frau wollte auch mal eine Zeit haben, in der wir uns mehr auf die Familie konzentrieren können und nicht
so unter Beobachtung stehen. Wobei wir jetzt nicht sagen können, daß wir in Berlin ständig genervt wurden, ganz im Gegen-
teil. Aber für jemanden, der mit einem zusammenlebt, ist es auf Dauer einfach anstrengend, überall wo man hingeht, be-
trachtet zu werden. So ein bißchen war das dann auch eine Flucht. Hinzu kommt, daß meine Frau London gerne mochte,
sie fand London schon ihr ganzes Leben lang eine ganz tolle Stadt. Dann ist eben alles passiert - es war uns nicht vergönnt,
daß wir gemeinsam dort leben. Ich wollte wieder zurück nach Berlin, habe auch noch ein Haus in Berlin. Dann habe ich mir
aber gedacht, daß sie sich doch etwas dabei gedacht hat, daß sie hierher wollte. So sind wir dann eben in London geblie-
ben. Ich arbeite dort seit 1988, nehme meine Platten dort auf, hab hier auch sehr viele Freunde. Aber ich habe mich auch in
Berlin unheimlich wohl gefühlt. Es wird so sein, daß ich wieder zurück nach Berlin gehe. Bis dahin will ich aber sagen kön-
nen, daß ich die Stadt London kennen gelernt habe, ich weiß, worum es hier geht. Es ist einfach eine Erweiterung meines
Gesichtsfeldes. Aber ich schreibe grundsätzlich deutsch, ich komme aus Deutschland und ich werde immer wieder nach
Berlin zurückkehren.
Ich habe es heute schon in der Pressekonferenz gefragt: Erfurt haben wir alle leidvoll ertragen. Die Menschen im Osten
berührt das immer noch. Warst du mal am Tatort?
Nein.
Du hast das nur über Fernsehbilder gesehen?
Gesehen und gelesen.
Was denkst du über den Schüler, der das gemacht hat? Gibt es eine Entwicklung in Deutschland, die du von außen
betrachtest, daß es dahin geführt hat? Daß es soweit kommen mußte?"
Es gibt viele Entwicklungen in Deutschland, wo ich grundsätzlich sagen würde, das es sich in eine komplexe Richtung ent-
wickelt. Aber zu sagen, das wäre jetzt das Ergebnis von einer Fehlentwicklung, wäre ich ein bißchen vorsichtig. Das ist ein-
fach eine Tat einer Person, die ausgeklinkt ist, die einfach durchgedreht ist. Im Ausmaß ist das einfach so umfangreich, bru-
tal und sinnlos. Mich selbst tangiert eher die Erschütterung, die in den Familien und in den Köpfen der Schüler, die das mit-
erlebt haben, stattfindet. Dieses Trauma, mit dem aufgrund so einer Sinnlosigkeit klarzukommen, das ist meiner Meinung
nach die enorme Tragik. Ich kann das nicht nachvollziehen, aber ich weiß, was so eine Katastrophe in einem auslöst. In ei-
ner gewissen Form habe ich das ja auch selbst erlebt. Das macht es so gigantisch und so groß. Das jetzt darauf zu bezie-
hen, analytisch zu sagen, daß es das Resultat einer Fehlentwicklung ist, ist nicht ganz richtig. Man kann über viele Dinge
sprechen, über die Verrohung von Sprache, Verrohung von Fernsehsendern, die Entblößung von Intimitäten, zu wenige
zwischenmenschliche Fähigkeiten, aber das sind andere Themen. Ich glaube, man macht es sich zu leicht, wenn man sagt,
nur weil er Computerspiele gespielt hat, ist das passiert. Das kann man nicht erklären. Es ist traurig, daß man die Signale
des Jungen nicht wahrgenommen hat. Auf der anderen Seite ist es für einen Menschen auch nicht vorstellbar, daß jemand
zu so einer Tat fähig ist. Das ist einfach außerhalb unserer Vorstellungskraft.
Wird das in einem Lied vorkommen? Ist das ein Thema?
Ich habe mal ein Lied geschrieben, da heißt es "Ich möchte spüren, wie es ist wenn man einen umbringt", das war auf "Total
egal". Das habe ich 1982 geschrieben. Es geht da um einen Jungen, der ständig ins Kino geht und sich immer solche Filme
reinzieht. Horrorfilme und brutale Filme eben und dann im Kino einfach einen absticht und hinterher ganz kühl einfach sagt,
ich wollte sehen, wie das im wahren Leben ist. Das Lied wäre also schon geschrieben, wenn es um das Thema geht. Ich fin-
de es zu voyeuristisch, daraus ein Lied zu machen. Das ist so unfaßbar und so tragisch, da fehlen einem einfach die Worte.
Das ist ähnlich wie bei der Katastrophe, die in Amerika am 11. September passierte. Das sind Dinge, die sind so unfaßbar,
diese Dimension kriegt man nicht in Worte gefaßt.
Ich hab eine schöne Sache gefunden im E-Mail-Forum eines Fanclubs, und zwar von @lili. Sie hat schon Mal persönlich
Post von dir bekommen und schreibt: "Er schreibt meistens Sonntags. Ich habe aber nicht herausgefunden, warum. Warum
beantwortet Herbert Grönemeyer E-Mails immer nur am Sonntag?
Erstmal beantworte ich überhaupt keine E-Mails, das muß man als erstes dazu sagen; genauso wie ich keine Briefe beant-
worte. Das klingt jetzt erstmal arrogant, meine Mutter hat das auch nicht verstanden. Sie hat gesagt, das geht nicht, wenn
einer einem schreibt, schreibt man auch zurück. Das Problem ist, erstmal muß man sich die Zeit nehmen und die gleiche
Sorgfalt an den Tag legen, die derjenige an den Tag legt, wenn er einem schreibt - und was macht man mit all den anderen,
denen man nicht schreibt. Das ist einfach ungerecht. Ich beantworte nur E -Mails, wenn wirklich eine Frage da ist, die ich
ganz schnell beantworten kann oder merke, dem brennt was auf dem Herzen, und ich kann jetzt, wenn ich das lese, direkt
etwas dazu sagen. Im Grunde ist das aber ein Sonderfall.
Schönen Dank Herr Grönemeyer.
Danke auch.
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