HERBERT GRÖNEMEYER
Interview von PETER JEBSEN (TV Movie, 20/1998)
Lieber Quietschknödel als Langweiler!

Nach vier Jahren Pause gibts von Herbert Grönemeyer ein neues Studioalbum, das er auch auf Tour präsentiert. Grund ge-
nug für den Interview-Muffel, TV Movie zum Exklusivgespräch einzuladen - über lautmalerische Texte, aufrichtige Menschen
und dünne Haare. Unter Deutschlands Rockstars ist er einer der erfolgreichsten (rund zehn Millionen verkaufte CDs) und viel-
seitigsten (als Theaterkomponist, Jazzsänger und Schauspieler - unter anderem im Welterfolg "Das Boot"). Jetzt meldet sich
Herbert Arthur Wiglev Clamour Grönemeyer als Musiker zurück - mit neuem Album ("Bleibt alles anders"), großer Tournee,
neuem Look und neuem Sound. Zum Interview lud der 42jährige in seine neue Wahlheimat: nach Berlin, wohin er nach
14 Jahren in Köln umzog.

Wie gehen Sie mit der Häme von Kritikern um, die bei Ihnen von "japsender Stimme" und der "verquetschten Ernsthaftigkeit
des betroffenen Bioladen-Bundesbürgertums" reden?


Solche Aussagen zeigen zumindest, daß ich eine Reaktion hervorrufe. Schlimmer wärs, wenn ich langweilen würde. Wenn
man mich als bioladenbetroffene Quietschknödelkommode bezeichnet, dann sage ich: Okay, zumindest bin ich so intensiv,
daß man das ebenso hart kritisiert! Das Ganze hat aber auch mit der deutschen Art des Musikhörens zu tun. Wir klemmen
uns immer sehr stark an die Texte. Dabei sind Musik und Texte gleichwertig. Ich benutze meine Stimme oft eher als Instru-
ment; in diesem Fall sind meine Texte, also die Worte, mehr wie Lautmalerei zu verstehen. Die deutsche Sprache ist
sowieso sehr perkussiv.

Inwieweit erkennen Sie in sich selbst Teile von dem, was Sie als "typisch deutsch" kritisieren?

Das Erschreckende daran ist, daß ich das selber bin. Wenn ich über mich selbst nachdenke und über meine eigenen Marot-
ten und Macken singe, dann heißt das nicht, daß ich die alle abstellen kann. Aber wenn ich Dinge bei mir entdecke, die ich
bescheuert finde, kann ich vielleicht auch andere Leute dazu ermutigen, vielleicht bei sich selber auch mal nachzuhorchen.
Aber die meisten meiner Texte sind kleine erfundene Geschichten oder Filme.

Empfinden Sie sich manchmal als abgehobenen Arroganzling?

Ja. Aber eher, weil ich vom Typ her jemand bin, der sehr hoch beschleunigt; wobei ich mich dabei ertappe, manchmal übers
Ziel hinauszuschießen.

Wie viele Freunde haben Sie, bei denen Sie sich darauf verlassen können, daß sie in solchen Fällen sagen: "Herbert, du
spinnst"?


Wenige. Menschen zu finden, die generell Tacheles reden, ist nicht einfach. Mir zu sagen, hier verrennst du dich, hier singst
du irgendwie nur Schrott oder schreibst grausamste Texte, das reduziert sich auf ein, zwei Menschen - und das sind
langjährige Freunde.

Gehen Entscheidungen wie der, sich Ihre Haartolle abzuschneiden, langwierige Marketing- und Designberatungen voraus?

Nein, darüber habe ich mit keinem geredet. Zum einen wurden meine Haare immer dünner; zum anderen war es schon ner-
vig, wenn die Presse nach Konzerten mehr über meine Haare schrieb als über meine Musik: "Da hingen ihm wieder die
Strähnen ins Gesicht."

Fehlt Ihnen die Schauspielerei?

Die Musik liegt mir mehr am Herzen, wenngleich ich am Theater mit die schönste Zeit meines Lebens erlebt habe. Wenn ich
ein vernünftiges Drehbuch in die Finger bekäme, dann würde ich auch gern wieder mal drehen.

Worin liegt für Sie der Reiz von Chaos, dem Zustand, nach dem Sie ein Album benannt haben?

Der Reiz, daß du nie sicher bist. Im Chaos steckt die Chance, etwas wirklich positives Neues zu schaffen, wobei man sich
natürlich auch der Gefahr des Negativen aussetzt. Stillstand ist der Tod!