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FEUER FREI AUFS ANDERE ICH
Herbert Grönemeyer über die Bewältigung privater Sinnkrisen, Imageschäden und sein neues Album
"Bleibt alles anders"
Herr Grönemeyer, auf Ihrem neuen Album "Bleibt alles anders" machen Sie sich über einen blassen Kerl lustig, der vor dem
Spiegel steht und sich bejammert. Sind Sie das selbst?
Nein. Erst mal ist das ein ganz albernes Stück. Wenn ich in meinen Liedern über Macken schreibe, kann ich vielleicht damit
besser umgehen. Falls das nicht reicht, habe ich wenigstens die Ausrede, daß ich drüber geschrieben habe.
Das klingt, als seien Sie in den fünf Jahren seit Veröffentlichung Ihrer letzten Studio-Platte nicht besonders glücklich
gewesen.
Es gibt innerhalb von fünf Jahren immer ein paar Minuten, in denen das Leben einfach klasse ist. Dazwischen ist Frust und
Depression und Tragik und Drama. Es waren weiß Gott nicht nur rosarote Jahre.
Was haben Sie die ganze Zeit getrieben?
Nachgedacht. Ich habe eine Denker-Dusche, einen Denker-Rasierapparat und eine Denker-Zahnbürste, und gemeinsam ha-
ben wir nachgedacht.
Worüber mußten Sie so dringend nachdenken?
Ich hatte in einer hochbeschleunigten Scheinwelt gelebt. Ich fuhr eine schwarze Abfahrt herunter, ohne mir den Hang anzu-
schauen. Da habe ich gedacht, ich müßte seitlich rausfahren und einen Stopp machen. Ich bin von Köln nach Berlin gezo-
gen und habe angefangen, mich neu zu orientieren.
Früher haben Sie gegen Neonazis angesungen, heute widmen Sie sich in Ihren Texten privaten Dingen. Ist das der neue
Grönemeyer?
Natürlich ist auch meine neue Platte politisch. In "Reines Herz" beispielsweise geht es um das zynische Machtdenken von
Politikern. Außerdem bleiben meine alten Lieder existent. Auf dem letzten Album habe ich in "Grönland" die Situation junger
Arbeitsloser in Ostdeutschland beschrieben. Das ist heute brisanter denn je. Aber deswegen muß ich doch nicht einen zwei-
ten Aufguß machen. Es gibt subtilere Varianten, als daß der Künstler zur Lage der Nation spricht. Das nutzt sich ab.
Auch für Sie hat der Protestsong also ausgedient?
In verschiedenen Zeiten benutzt man Sprache verschieden. Früher, in der Degenhardt- und Biermann-Zeit der siebziger Jahre,
sang man in erster Linie einen wichtigen politischen Text. Dazu spielte man ein bißchen Gitarre, da störte die Musik nicht
weiter. Die alternative Parka-Fraktion hat das Mitte der achtziger Jahre in frischerem Gewand fortgesetzt. Sie war politisch
und wollte sich gegen die Schlager abgrenzen. Deshalb hatten die Texte so etwas Hieb- und Stichfestes.
Zu der Fraktion gehörten Sie auch.
Na klar, ich war ein ganz wichtiger Bestandteil.
Beneiden Sie junge deutsche Rapper wie die Fantastischen Vier oder Fettes Brot, die sich nicht lange mit der Sprache quä-
len, sondern einfach losreden?
Ich versuche, von ihrer Gelassenheit zu lernen. In Deutschland gibt es mittlerweile eine sehr breite Musikszene, und die
inspiriert mich. Trotzdem gibt es eine ganz spezifische Grönemeyer-Art zu texten.
Sie waren einer der Pioniere im Genre deutschsprachige Rockmusik. Inzwischen verkaufen Epigonen wie die Gruppe "Pur"
mehr Platten als Sie. Ärgert Sie das?
Ich verstehe die Frage nicht. Nennt man das jetzt Rock, was "Pur" spielt? Das Naabtal- Duo hat auch immer mehr verkauft
als ich. Aber darum geht es gar nicht: Ich begreife mich als Unikat. Es gibt keinen besseren Grönemeyer als mich. Jeder tritt
nur gegen sich selbst an. Der Wettstreit, wer am meisten verkauft, ist absolut uninteressant.
Weil sowieso nie der Beste gewinnt?
Ich arbeite in einer Art Lotto-Branche: Man muß Glück haben und die richtigen Kreuze machen. Aufwand und Gewinn stehen
in keinem Verhältnis. Das ist ähnlich ungerecht wie im Sport. Mit 90 Minuten Laufen auf dem Fußballplatz kann man sehr
viel Geld verdienen, ein Bogenschütze trainiert auch nicht weniger hart und schafft das trotzdem nie.
Das klingt, als seien Ihnen Ihre Millionen peinlich.
Der Erfolg macht es sehr kompliziert, sich zu relativieren. Nach meinem Durchbruch mit "Bochum" Mitte der achtziger Jahre
habe ich die Platte "Luxus" aufgenommen, die nicht umsonst so heißt und mein schwächstes Album war. Danach habe ich
Briefe bekommen, in denen die Leute schrieben, ich sei so arrogant geworden.
Hatten die recht?
Klar. Aber erst dachte ich, das kann nicht stimmen, eigentlich bin ich ein dufter Typ. Ich brauche immer erst zwei Wochen,
um zu begreifen, daß an Kritik vielleicht doch etwas Wahres dran ist.
Fürchten Sie, daß jemand mit Millionen auf dem Konto an Glaubwürdigkeit verliert?
Nein, selbst wenn ich einen Ferrari führe - wäre ich dann disqualifiziert, meine Meinung zu sagen? Das ist zu simpel ge-
dacht. Man kann mich nur nach dem beurteilen, was ich öffentlich sage, was in meinen Texten steht und wie ich mich ver-
halte. Und damit stelle ich mich öffentlich zur Debatte. Weil ich zehn Millionen Platten verkauft habe, muß ich doch nicht
zum Arschloch werden. Mein Hirn ist durch das Geld jedenfalls nicht aufgeweicht.
Das Thema bringt Sie ganz schön in Fahrt.
Weil ich ständig damit konfrontiert werde. Ich war mal zu einer Fernsehdiskussion über den Golfkrieg eingeladen, und noch
bevor ich überhaupt zu Wort kam, hat mir ein CDU-Mann vorgeworfen: links singen, rechts verdienen. So treibt man Leute
aus dem Land.
1993 warf man Ihnen vor, Sie wollten auch noch links verdienen. Damals beorderten Sie die Videobänder des Frankfurter
Anti-Rassismus-Festivals per einstweiliger Verfügung zurück, weil die Lufthansa die Kassetten wie ein Werbegeschenk
verpackt an die Goethe-Institute ausgeliefert hatte. Ihre Kritiker argwöhnten, Sie wollten lieber selbst das Geschäft mit den
Kassetten machen.
Völliger Quatsch. Die Plattenbosse, allen voran der damalige WEA-Chef Gerd Gebhardt, hatten dieses Benefizkonzert an die
Lufthansa verscheuert, ohne daß die Künstler, die alle umsonst aufgetreten waren, davon wußten. Es geht nicht, daß man
anschließend auf ganz billige Art mit den Künstlern Werbung treibt. Deswegen habe ich die Kassetten wieder einziehen las-
sen. Alle haben auf mich eingedroschen, ohne daß jemand mit mir redete. Die dachten, sie hätten mich endlich mal er-
wischt. Fakt ist, daß ich völlig im Recht war. Ich habe am Ende auf eigene Kosten die Folien abreißen und die Kassetten an
die Goethe-Institute zurückschicken lassen.
Udo Lindenberg hat damals gesagt, der Herbert sollte mal ein bißchen lockerer werden.
Ich bin aber nicht locker. Ich muß mir nicht von anderen Leuten vorschreiben lassen, wann ich locker zu sein habe. Ich küs-
se auch anders als Lindenberg. Ich schlafe auch anders mit einer Frau als Lindenberg. Und wenn eine Frau sagt, der Udo
macht das aber besser als du, dann kann ich nur sagen: Dann schlaf doch mit Udo!
Und Sie akzeptieren, daß diese Art von bierernstem Eigensinn mitunter Ihr Image beschädigt?
Das Problem mit meiner großen Klappe hatte ich schon immer. Natürlich hätte ich diese Lufthansa-Geschichte etwas ent-
spannter angehen können: erst mal die Kollegen anrufen, Einigkeit herstellen und dann eine Pressekonferenz einberufen.
Das Ganze hätte dann zwei, drei Wochen gedauert, und in der Form wäre es sicherlich besser gewesen. Aber die Kassetten
hätte ich trotzdem eingezogen. So locker werde ich nämlich nie.
Findet Ihre Plattenfirma Sie nicht ein bißchen anstrengend?
Das ist wohl unbestritten, daß ich ziemlich anstrengend bin. Ich gehe halt über 90 Minuten volles Tempo, und so manches
Mal verstolpere ich den Ball.
Und wie hält Ihre Frau das aus?
Für die ist es am anstrengendsten. Wenn Sachen wie mit der Lufthansa passieren, brennt natürlich das Haus.
Macht es Ihnen nicht auch Spaß, sich im Kampf gegen Ihre Gegner daheim zu verschanzen?
Nein, das macht keinen Spaß. Meine Band nennt mich nicht zufällig den Kampfsänger. Aber ich habe die Hoffnung, daß ich
heute soweit bin, den Waffenschrank zuzulassen, erst mal durchzuatmen und dann zu überlegen, wie ich ein Problem auch
anders lösen kann.
Im Video zu Ihrer aktuellen Single greifen Sie allerdings zu den härtesten Waffen: Da sprengt der eine Grönemeyer den
anderen Grönemeyer in die Luft.
Ich fand die Idee klasse, daß ich mir selbst hinterherjage. Man könnte das so deuten, daß ich versuche, mich selbst zu fin-
den, und dabei eine Version von mir aufgeben muß - am Ende siegt das alte Second- Hand- Hemd über den Prada- Anzug.
Bei "Wetten, daß ...?" waren Sie aber wieder im Prada-Anzug zu sehen.
Nein, der war von Helmut Lang. Der schneidert etwas vorteilhafter - da komme ich schlanker rüber.
Herr Grönemeyer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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